Images de page
PDF
ePub

Irresein. Auch die Angabe, daß das manisch-depressive Irresein eine mehr endogene, die reine Melancholie eine mehr exogene Psychose mit geringerer und andersartiger erblicher Belastung sei, konnte Verf. nicht bestätigen. Sodann ist zu berücksichtigen, daß selbst die Prognose beider Krankheiten nicht wesentlich verschieden ist; ein Teil aller Depressionszustände heilt gleichviel ob manischdepressiver oder rein melancholischer Art; ein Teil der reinen Melancholiker wird dement. Aber auch im Anschluß an Anfälle des manisch-depressiven Irreseins kann sich im Alter Demenz ausbilden. Die funktionelle Psychose kombiniert sich gegebenenfalls hier wie dort mit der organischen Gehirnkrankheit seniler Demenz bzw. mit den Folgen der Arteriosklerose. Die Dauer der Depressionszustände endlich kann bei beiden in Rede stehenden Psychosen sehr bedeutend sein. Verf. rechnet nach alledem die verschiedenen Spielarten von der außerordentlich selten isoliert auftretenden Manie bis zu einmaliger Melancholie zu einer großen Krankheitsgruppe. Er schließt sich denjenigen an, die die reine Melancholie als selbständige Krankheitsform vollständig fallen lassen und sie etwa als einen manischdepressiven Mischzustand auffassen, falls die psychomotorische Hemmung wegfällt.

In seiner Arbeit gedenkt Verf. der dem Senium eigentümlichen Depressionszustände. Die Erkenntnis des körperlichen und geistigen Rückganges spielt hier oft ätiologisch eine Rolle. Die Intensität der Angst wechselt, hypochondrische Ideen sind beigemischt, egoistische Motive stechen hervor. Die Kranken querulieren, verlangen alle möglichen Rücksichten, sind trotzig. Oft drücken sie sich umständlich aus, oft sind sie mangelhaft orientiert. Hemmungszustände fehlen. Diese senilen Deprimierten sind leicht beeinflußbar und leicht zu trösten. Nachts ist die Unruhe gewöhnlich schlimmer. Der Zustand geht in ziemlich affektlose Demenz, bisweilen in demente Euphorie über.

Im Anschluß an das délire primitif d'autoaccusation von Séglas bespricht Verf. die paranoiden Affektionen, und zwar sowohl Fälle, in denen depressive Phasen wie solche mit Sinnestäuschungen und Verfolgungsideen bestehen, als auch Fälle, in denen Depressionszustände einem paranoiden Zustand vorausgehen oder unmittelbar nachfolgen. Ref. erinnert daran, daß Phasen mit Sinnestäuschungen und Verfolgungsideen (halluzinatorischer Wahnsinn) auch im manisch-depressiven Irresein vorkommen, und daß manche Formen von Dementia praecox sich mit einem ausgesprochen melancholischen Zustandsbild einleiten.

Selbst die Differentialdiagnose zwischen depressiver Psychose und Neurasthenie vergißt Verf. nicht und behandelt des näheren die drei Friedmannschen Arten von der Neurasthenie abzugrenzender degenerativer Psychose: erstens Angst und Wahnvorstellungen nach äußerer Ursache bei vorher und nachher neurasthenischen Psychopathen, zweitens nervöse Apathie und drittens nervöse Überreizung mit unregelmäßigem Auftreten und Schwinden schwerer Angst in Verbindung mit starkem Lebensüberdruß.

47) I. Zur Frage der Amentia, von Jahrmärker. (Centralbl. f. Nervenheilk. u. Psych. 1907. 1. August.) II. Zur Amentiafrage, von Stransky.

(Ebenda. 1. November). Ref.: H. Marcuse (Dalldorf).

Jahrmärker ist jetzt im Gegensatz zu seinem früheren Standpunkte zu der Auffassung Kraepelins gelangt, daß die meisten, wenn nicht alle, sonst als Amentia gedeuteten Krankheitsbilder Anfälle eines manisch-depressiven Irreseins oder Schübe einer Dementia praecox sind. Ein endgültiges Urteil behält er sich noch vor.

Stransky gibt die Seltenheit der Krankheit zu. Er glaubt indessen, daß manche Fälle von Amentia, und gerade die diagnostisch klaren, häufig nicht der Irrenanstalt überwiesen werden. Auch warnt er davor, den Begriff,,Mischzustand" zu weit auszudehnen. Andererseits rechnet er zur Amentia Kollapsdelirien und infektiöse Formen amenten Charakters. Chronische Zustände geistiger Schwäche

können nach Amentia auftreten. Diese bedürfen noch der Abgrenzung von ähnlichen, der Katatonie zugehörigen Krankheitsformen.

48) Die Konfabulation und ihre Rolle in den senilen Psychosen, von Markus Goldberger. (Elme-és Idegkórtan. 1907. Nr.1.) Ref.: Hudovernig. In den vier mitgeteilten Fällen dominiert neben langsam zunehmender Demenz, vollständiger Desorientiertheit, Abnahme der Erinnerungs- und Merkfähig. keit eine auffallende Neigung zu Konfabulationen, welche teils spontan auftreten, teils durch hingeworfene Fragen ausgelöst werden können; der Inhalt der Konfabulationen war teils nihilistisch, teils voll eigenen Lobes und vollbrachter Taten; ihr Inhalt variiert je nach dem ehemaligen Berufe und verändert sich sehr rasch. Sehr häufig waren sogen. „lückenausfüllende" Konfabulationen. Verf. bezeichnet seine Fälle als konfabulierende Form der senilen Demenz; die Presbyophrenie bildet kein selbständiges Krankheitsbild, sondern ist bloß eine besondere Form der senilen Demenz im Sinne Kraepelins.

49) Ibsens Figuren vom Standpunkte des Psychiaters, von Prof. W. Weygandt. (Die Umschau. März 1907.) Ref.: H. Haenel (Dresden).

Die Berechtigung des Dichters, geisteskranke Figuren in seinen Werken zu verwenden, kann nicht bestritten werden; allerdings weniger in dem Sinne, wie es früher üblich war, daß der Irrsinn als Folge früherer Ereignisse gezeigt wird oder unter seiner Maske allerhand beziehungsreiche Anspielungen, Prophezeihungen usw. eingeführt werden. Das stimmt mit den Forderungen an psychiatrische Echtheit nicht mehr zusammen. Viel dankbarer sind für den Dramatiker jene zahllosen Charaktere, die zwischen geistiger Krankheit und Gesundheit in der Mitte stehen, die sogen. Grenzzustände. Von ihnen hat Ibsen reichlich Gebrauch gemacht, um in ihnen die Sitten und die Durchschnittsmenschen sich spiegeln zu lassen. Verf. zeigt, daß Ibsen die Zeichnung der leicht Abnormen meist außerordentlich treffend gelungen ist, daß er aber bei den tiefer pathologischen Figuren, besonders in seiner Verwendung der Vererbungslehre, der exakten wissenschaftlichen Kritik nicht standhält.

Forensische Psychiatrie.

50) Über die Zeugnisfähigkeit, von Prof. E. E. Moravcsik. (Monatsschr. f. Kriminalpsychol. u. Strafrechtsref. 1907. S. 401.) Ref.: Hudovernig. Die Untersuchungen des Verf.'s erstreckten sich teils auf Geisteskranke, teils auf Gesunde. Die Aussagen wurden stets nach zwei Gesichtspunkten eingeholt, und zwar im Wege spontaner Aussage und im Wege des Verhöres durch Fragestellung. In der ersten Gruppe der Untersuchungen dienten als Sinnesreize farbige Bildertafeln, mit Exposition von 1 Minute; ferner wurden den Versuchspersonen verschiedene Gruppen und Haltungen ohne vorherige Hinlenkung der Aufmerksamkeit vorgeführt, schließlich Abschätzungen des Raumes und Ausdehnung gefordert. Die näheren Untersuchungsanordnungen und die detaillierten Ergebnisse mögen im Original eingesehen werden, und an dieser Stelle seien bloß die Schlußfolgerungen des Verf.'s angeführt: 1. Die auf Eindrücke und Beobachtungen bezüglichen Angaben weisen bedeutend mehr Fehler auf, als man geneigt wäre anzunehmen, und deshalb erheischt die Wertung derselben große Vorsicht. Die Irrtümer variieren je nach Individualität, Alter, Geschlecht, gesellschaftlicher Stellung, Bildung, namentlich aber je nach der Fachkenntnis. 2. Bei gewissen Geisteskrankheiten (bei welchen Intelligenzabnahme und Bewußtseinstörung nicht zu groß sind, wie: Paranoia, Paralyse mit geringen psychischen Defekten, Hysterie, Epilepsie, Hypomanie, Dementia praecox) sind die Aussagen nicht um vieles schlechter als bei Geistesgesunden, und es gibt sogar Paranoiker, deren Angaben genauer sind als jene der Geistesgesunden. So sind diese imstande, über gewisse

Tatbestandsmomente orientierende Aufklärungen zu geben, namentlich dann, wenn ihr Verhör unmittelbar oder bald nach der Beobachtung erfolgt. Doch muß andererseits stets vor Augen gehalten werden, daß man im gegebenen Falle nie jene Grenzen anzugeben vermag, innerhalb welcher der Geisteskranke noch außerhalb des Einflusses jener pathologischen Momente (Empfindungen, Stimmungsschwankungen, Halluzinationen, Illusionen, Wahnideen usw.) steht, welche als solche geeignet sind, Betrachtung und Beobachtung zu verfälschen; aus diesem Grunde ist der Standpunkt Aschaffenburgs richtig, daß solche Kranke nicht beeidigt werden sollen. 3. Obwohl es ausnahmsweise vorkommt, daß Kinder eine genaue Beobachtungs- und Reproduktionsfähigkeit besitzen, glaubt Verf. dennoch, daß Kinder unter 12 Jahren, mit Rücksicht auf ihre leichte suggestive Beeinflussung, auf ihre zur Tatbestandsverfälschung neigende lebhafte Phantasie und mit Rücksicht auf ihre Oberflächlichkeit, zum Zeugenverhör nicht zugelassen werden sollen. 4. Abgesehen von einzelnen Personen mit spezieller besonderer Erinnerungsfähigkeit nimmt bei dem Geisteskranken und Gesunden die Zahl der Fehler mit der Zeit zu, und zwar bei dem Geisteskranken in erhöhtem Maße. Wichtig ist dabei, daß möglichst bald nach einer Begebenheit ein sich auf alle Details erstreckendes Verhör durchgeführt, und dessen Autentizität sofort eidlich bekräftigt werde. 5. Art und Form der gestellten Fragen ist von großem Einflusse auf die Mehrzahl der erhaltenen Antworten. Die sogen. Kreuzfragen führen oft nicht zur Klärung, sondern zur Verwirrung einer Angelegenheit. 6. Die Mehrzahl der Fehler erfolgt bei Bestimmung räumlicher Verhältnisse, Größe, Richtung und der Personenidentität. Besonders wichtig ist, daß bei Erforschung derartiger spezialer Fragen die Aussage solcher Zeugen besonders berücksichtigt werde, welche teils durch ihre Vorkenntnisse, teils durch ihren Beruf in solchen Angelegenheiten eine besonders ausgebildete Urteils- und Schätzungsfähigkeit erlangt haben. Bekanntlich kommt es oft vor, daß die genaue Situationsangabe von verdächtigen Personen und von den Corpora delicti eine entscheidende Bedeutung haben kann. 7. Die Zeugenaussage wird oft verfälscht durch häufiges Hören und Verhandlung von Detailumständen: suggestive Beeinflussung. 8. Durch stärkere Sinnesreize kann die Aufmerksamkeit besonders nach einer Richtung gelenkt werden, während Momente, welche intensivere psychische Emotionen hervorrufen (Gemütserschütterung, Schreck usw.), dieselbe abschwächen können; sie ist dann die beste, wenn die Aufmerksamkeit auf die eintretenden Geschehnisse im voraus gelenkt wird. 9. Bei Frauen ist die Suggestibilität größer, ebenso die Neigung zur künstlichen Ausschmückung und zur Verfälschung durch Zusätze.

Therapie.

51) Kurze Mitteilung über Skopomorphin-Riedel als Sedativum, von Janson. (Psych.-neurol. Wochenschr. 1907. Nr. 25.) Ref.: E. Schultze (Greifswald). Die Firma Riedel bringt nach dem Vorschlage Korffs ,,Skopomorphin" (= 0,0012 Scopolamin. hydrobrom., Morph. hydrochl. 0,03, Aqua destill. 2,0) in zugeschmolzenen und sterilisierten Ampullen in den Handel. Diese werden dem Praktiker bei der Behandlung unruhiger Geisteskranker willkommen sein: für den Anstaltsbetrieb kommen sie, schon wegen des Preises, nicht in Betracht.

III. Aus den Gesellschaften.

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.
Sitzung vom 9. Dezember 1907.

1. Herr Peritz stellt einen Vater und dessen Tochter vor, welche beide an Tic leiden, die Tochter an Tic général, der Vater an einem beschränkten Halsmuskeltic. Zuerst trat die Krankheit vor 4 Jahren bei dem damals 6 jährigen

Kinde auf und zwar als Blinzeltic.

Allmählich breitete sich der Tic über das Gesicht, den Hals, die Schultern und Arme aus. Daneben stößt Patientin unartikulierte Laute aus. Der Vater leidet seit 3 Jahren periodisch an seinem Halsmuskeltic, der vollkommen identisch den Bewegungen ist, welche die Tochter mit dem Halse ausführt. Seit 10 Jahren leidet der Vater an Kopfschmerzen, seit 5 Jahren an einem Druckgefühl am Halse. Er ist sehr schreckhaft, wehleidig, fällt beim Anblick von Blut in Ohnmacht, bietet also Zeichen einer psychopathischen Konstitution. Als Ausdruck derselben ist auch die Übertragung der krankhaften Bewegungen von der Tochter auf den Vater aufzufassen. Auch die Tochter zeigt eine psychopathische Veranlagung. Bei beiden Patienten finden sich ferner in der Nackenmuskulatur sehr druckempfindliche Muskelschwielen. Diese machen erfahrungsgemäß Reizerscheinungen verschiedener Art wie Kopfschmerzen, Druckgefühl usw. und können auch unwillkürliche Muskelkontraktionen zur Folge haben, die als Abwehrbewegungen aufzufassen sind. Aus diesen können bei Psychopathen die Ticbewegungen resultieren. Diese Muskelschwielen bilden. also in beiden Fällen eine äußere Reizquelle und sind bei den psychopathischen Personen als das auslösende Moment der Tics anzusehen.

Diskussion: Herr Remak: Die psychogene Entstehung der Tics liege hier klar zutage. Die Bedeutung der Muskelschwielen für ihr Zustandekommen könne er jedoch nicht anerkennen. Der Wert der sog. „,Druckpunkte" sei früher überschätzt worden. Man muß sich bei Feststellung der Myalgien vor Autosuggestion hüten und die Angaben der Patienten nur mit Vorsicht verwerten.

Herr Ziehen hat sich von der Existenz der Muskelschwielen bei den Vorgestellten nicht überzeugen können und glaubt, daß Vortr. Muskelkontraktionen dafür gehalten hat.

Herr Peritz hat häufig auch bei Kollegen diese Myalgien feststellen können und glaubt, jede Art von Suggestion ausschließen zu können. In den vorgestellten Fällen habe er strangartige Verdickungen in den Muskeln immer wieder an derselben Stelle gefunden. Muskelkontraktionen müßten sich an jeder Muskelstelle auf Druck bilden, hier könne es sich nur um Froriep'sche Schwielen handeln. 2. Herr Cassirer: Krankendemonstration. Bei einem Mann von 54 Jahren entwickelte sich ganz allmählich, ohne Schübe, ohne Schmerzen oder Parästhesien eine linksseitige spastische Parese des Beins und Arms. Dieselbe begann vor 4 Jahren mit Schwäche im linken Bein und Lähmung der Zehen. 2 Jahre später wurde in derselben Weise, von den Fingern aufsteigend, der linke Arm befallen. Bei Anstrengungen hat Pat. infolge tonischer Kontraktionen geringe Schmerzen. Im Anfang sollen leichte Schwindelanfälle aufgetreten sein. Sonst wurden nie cerebrale Symptome beobachtet. Pat. zeigt objektiv den Gang eines Hemiplegikers und alle Zeichen der spastischen Parese im linken Arm und Bein. Die Muskulatur ist gegen rechts mäßig atrophisch, die elektrische Erregbarkeit ist normal, die Sensibilität intakt. Rechts ist die grobe Kraft erhalten, es bestehen erhöhte Reflexe, doch ist das Babinski'sche Zeichen nicht deutlich ausgeprägt. Die Kremasterreflexe sind vorhanden, der Bauchdeckenreflex dagegen ist nur in den obersten Partien der rechten Seite auszulösen, links fehlt er. Ferner ist der linke N. facialis nicht ganz intakt. Auch weicht die herausgestreckte Zunge eine Spur nach links ab. Seit längerer Zeit besteht Urindrang und Inkontinenz geringen Grades, die vielleicht auf leichte Veränderungen in den Hintersträngen hinweisen. Im wesentlichen muß man eine Erkrankung einer Pyramidenbahn annehmen. Ein ätiologisches Moment fehlt. Lues und Potus werden negiert. Am Gefäßsystem findet sich nichts Pathologisches. Man kann daher die allmähliche Thrombose als Ursache der Erkrankung ausschließen. Ebenso ist ein Tumor unwahrscheinlich, da trotz vierjährigen Verlaufs nie Krämpfe aufgetreten sind und auch sonst cerebrale Symptome völlig fehlen. Der Fall stellt eine einseitige, chronisch-pro

gressive Systemerkrankung dar, die von anderen Autoren als einseitige, aufsteigende Spinal paralyse beschrieben worden ist. In jüngster Zeit haben Spiller und Mills in einem analogen Fall die Degeneration der einen Pyramidenbahn und frische, nach Marchi färbbare Veränderungen in der anderen festgestellt. Diskussion: Herr Schuster fragt nach der Beschaffenheit des Gefäßapparats. Dieselbe sei besonders wichtig, da Pat., soviel er sehe, eine beschleunigte Atmung (30 Atemzüge in der Minute) aufweise.

Her Kurt Mendel wundert sich, daß der Vortr. die Diagnose der multiplen Sklerose gar nicht mit in Erwägung gezogen hat. Ganz besonders das Fehlen der Bauchreflexe, das durch die Diagnose des Vortr. nicht erklärt ist, lasse an eine Sklerosis multiplex denken. Es passen aber auch die Blasenstörungen (gleichfalls durch Vortr. nicht genügend erklärt), der Schwindel, die hemiplegische Form zur Diagnose der multiplen Sklerose.

Herr Remak findet es sehr unwahrscheinlich, daß der Krankheitsprozeß sich in der Pyramidenbahn aufsteigend entwickelt und dann den Facialis in Mitleidenschaft gezogen habe. Er nimmt eher eine cerebrale Erkrankung an, wobei die stärkere bzw. frühere Beteiligung des Beins und das Übergreifen auf den Facialis mit der Lage der Centren in Übereinstimmung ständen.

Die

Herr Oppenheim fragt, welchen Cortexbefund Spiller und Mills erhoben haben. Im vorgestellten Fall handle es sich um etwas durchaus Ungewöhnliches, ganz gleich, wo man sich den Ursprung des Krankheitsprozesses denke. Hemiplegia progressiva, ebenso die chronische Encephalomalacie seien exzessiv seltene Erkrankungen. Die analoge Beobachtung der amerikanischen Autoren sei gerade durch den Sektionsbefund eine wertvolle Stütze für die von dem Vortr. gestellte Diagnose. Der aufsteigende Verlauf mit Übergreifen auf den Facialis. sei bei der doppelseitigen Spinalparalyse nicht ungewöhnlich.

Herr Bernhardt: Die Entwicklung des Krankheitsbildes würde nicht gegen cerebralen Ursprung sprechen. Der Fall erinnert an einen früher von Herrn Oppenheim vorgestellten, in dem es infolge Carotisverengung zu einer Hemiplegie kam, nachdem lange Zeit Hemicranie bestanden hatte.

Herr Remak betont nochmals, daß es sich um einen cerebralen Krankheitsprozeß handeln müsse.

Herr Ziehen hat in ähnlichen Fällen immer Herderkrankungen oder einen Tumor gefunden. Auch Syringomyelie käme in Betracht, wofür besonders etwaige Ungleichheit der Pupillen sprechen würde. Der Fall von Spiller und Mills erscheine ihm nicht genau genug untersucht und daher nicht beweisend.

Herr Oppenheim: In dem von Herrn Bernhardt zitierten Fall von Hemicranie mit nachfolgender Hemiplegie lagen vielleicht Arterienwanderkrankungen zugrunde.

Herr Cassirer: Das Gefäßsystem sei, wie schon erwähnt, intakt. Für die Annahme einer multiplen Sklerose seien nicht genügend Symptome vorhanden. Herrn Remaks Bedenken findet er nicht berechtigt. Wo die Sklerose in solchen Fällen beginnt, wissen wir nicht. Veränderungen im Cortex sind nicht immer nachweisbar gewesen. Es handle sich um spinalen Beginn und cerebrales Fortschreiten der Erkrankung. Warum im einzelnen Fall nur bestimmte Systeme ergriffen werden, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Der Fall von Spiller und Mills sei sorgfältig untersucht. Man könne ohne Schwierigkeit einen aufsteigenden Prozeß annehmen, der jetzt mindestens bis zum Pons vorgeschritten ist. Eine Gliosis ist nicht wahrscheinlich, da keinerlei Sensibilitätsstörungen vorhanden und auch die Augennerven intakt sind. Ein allmähliches Übergreifen der Erkrankung auf die andere Seite sei möglich.

3. Discussion über den Vortrag des Herrn Reich.

Herr Lewandowsky hat ebenfalls einen Stirnhirntumor mit Areflexie der

« PrécédentContinuer »