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Entwicklungshöhe vorausgehenden Alters, von Berze. 42. Ein Fall von Seelenstörung im frühen Kindesalter, von Rasmus. 43. Beiträge zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Dementia praecox, von Lukács. 44. Über die Psychologie der Dementia praecox, von Jung. 45. Ein Fall von manisch-depressivem Mischzustand (zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Ideenflucht und den Halluzinationen), von Goldstein. 46. Klinische Studien über die Melancholie, von Hübner. 47. I. Zur Frage der Amentia, von Jahrmärker. II. Zur Amentiafrage, von Stransky. 48. Die Konfabulation und ihre Rolle in den senilen Psychosen, von Goldberger. 49. Ibsens Figuren vom Standpunkte des Psychiaters, von Weygandt. Forensische Psychiatrie. 50. Über die Zeugnisfähigkeit, von Moravcsik. - Therapie. 51. Kurze Mitteilung über Skopomorphin-Riedel als Sedativum, von Janson. III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten vom 9. Dezember 1907.

IV. Vermischtes.

I. Originalmitteilungen.

1. Bemerkungen über die Hörsphäre des menschlichen

Gehirns.1

Von Paul Flechsig.

CARL WERNICKE hat zuerst aus klinischen Beobachtungen am Menschen Beziehungen des Schläfenlappens zu den Gehörswahrnehmungen erschlossen, indes keineswegs in allen seinen Schriften lediglich die nach ihm benannte Windung, die erste Temporalwindung, als centrales Hörorgan aufgefaßt; es findet sich bei ihm wiederholt die Behauptung, daß sämtliche äußere Schläfenwindungen in Betracht kommen. Die gleiche Idee vertritt für Hund und Affe MUNK und gestützt auf das Studium sekundärer Degenerationen am Menschen auch VON MONAKOW, welch letzterer zwar der ersten Schläfen windung besonders zahlreiche Faserverbindungen mit dem inneren Kniehöcker zuschreibt, in minderem Grade aber auch noch die 2. und 3. Windung für beteiligt hält. Ich habe von vornherein in meinen Publikationen einen abweichenden Standpunkt eingenommen, indem ich die kortikale Ausbreitung der Hörleitung überwiegend in die in der Fossa Sylvii verborgene vordere Querwindung des Schläfenlappens verlegt und die 1. Schläfenwindung nur mit ihren unmittelbar anliegenden Abschnitten als beteiligt angesehen habe. Im Laufe meiner Untersuchungen habe ich aber mehr und mehr den der ersten Temporalwindung angehörigen Gebietsteil eingeengt dergestalt, daß ich in meiner letzten Publikation2 kaum 2 qcm der äußeren Fläche des Schläfenlappens zur Hörsphäre rechne. Die Untersuchungsmethode, welche ich bei meinen diesbezüglichen Arbeiten überwiegend angewandt habe, ist die myelogenetische (Verfolgung der Markbildung). Dieselbe bewährt sich gerade hier vortrefflich, freilich nicht ohne Zuhilfenahme gewisser allgemeiner Erfahrungen über die dem sukzessiven Ablauf der Ummarkung zugrunde liegenden Gesetze. Zudem verfügt die myelogenetische Methode auch

1 Vortrag, gehalten auf der Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen 26. Oktober 1907.

Vortrag auf dem internationalen Psychologenkongreß in Rom 1905, abgedruckt in den Annalen der Naturphilosophie Bd. IV, S. 478 Abbildung.

für den Menschen über ein geradezu unerschöpfliches Untersuchungsmaterial; man ist also nicht wie bei den sekundären Degenerationen auf den Zufall angewiesen und vermag so selbst feinere individuelle Differenzen u. dergl. klar zu erkennen.

Der Prozeß verläuft ausgesprochen elektiv, so daß das gleichwertige schärfer als bei irgendwelcher anderen Methode sich heraushebt. Ein ausnahmslos durchgehender Parallelismus zwischen der ersten Anlage der Neurofibrillen und der Ummarkung derselben besteht nicht, wenn schon im ganzen und großen die Reihenfolge, in welcher sich die verschiedenen Fasersysteme bilden, auch die Reihenfolge ihrer Ummarkung bestimmt. Es gibt aber eklatante Ausnahmen, welche auf die Existenz eines besonderen elektiven Prinzips hinweisen, dessen strenge Formulierung mir noch nicht gelungen ist. Daß dasselbe physiologischer Natur ist, geht z. B. daraus hervor, daß die motorischen Leitungen von der Oblongata zum Rückenmark sich ausnahmslos vor den sensiblen ummarken. Es sind z. B. bei 21 cm langen Früchten die Fasern vom DEITERS'schen Kern, vom oberen und mittleren Lateral-, desgleichen vom unteren und mittleren Centralkern der Formatio reticularis zu den Vorderseitenstranggrundbündeln markhaltig, während die innerhalb dieser letzteren aufsteigenden Fasern aus Strangzellen der grauen Säulen, die GOWERS'schen Bündel usw. noch marklos erscheinen. Im Gegensatz hierzu gehen in den Sinnessphären der Großhirnrinde die kortikopetalen Leitungen den kortikofugalen stets voraus. Hierbei zeigt sich, daß die Differenzierung der Ganglienzellen und Schichten in den verschiedenen Rindenfeldern in einer anderen Reihenfolge sich vollzieht als das Hervortreten der Markscheiden. So ließen bei einem 27 cm langen Fötus in der Riechsphäre des Uncus und im Ammonshorn die Ganglienzellen nach Form, Anordnung, Zahl usw. keine Unterschiede vom reifen Organ wahrnehmen, während z. B. in den Centralwindungen infolge der Existenz zahlreicher embryonaler Zellenformen besonders in der 2. Schicht, die definitive Gliederung noch nicht rein hervortrat. Im Gegensatz hierzu erhalten gewisse Stabkranzbündel der Central windungen früher Markscheiden als irgendwelche Faserzüge des Ammonshorns. Die Fertigstellung der inneren Architektonik, insbesondere die Differenzierung der Ganglienzellformen folgt also einem anderen Gesetz als die Sukzession der Markscheiden. Hierdurch erledigen sich gewisse scheinbare Widersprüche zwischen EDINGER'S phylogenetischer Theorie der Rindenentwicklung und meinen myelogenetischen Befunden. Die cyto-architektonische Entwicklung läßt deutlich einen Parallelismus zwischen Onto- und Phylogenese erkennen, insofern, als auch beim Menschen Riechsphäre und Ammonshorn als die am frühesten reifenden Bestandteile des Cortex bzw. Pallium sich legitimieren. Die vorauseilende Ummarkung eines Fasersystems, welches allem Anschein nach zur Gelenk- und Muskelsensibilität in Beziehung steht, trägt demgegenüber mehr ein physiologisches Gepräge, und läßt von der Myelogenese Aufschlüsse über die Funktionsentwicklung erwarten.

Der Schläfenlappen des Menschen zeigt außer der primären Riechsphäre nächst der Fossa Sylvii drei Windungsgebiete, welche sich durch frühzeitige Ummarkung der Leitungsbahnen auszeichnen,

1. die Innenfläche des Uncus und das Ammonshorn,1

2. die vordere Querwindung,2

3. die innere Fläche des Polus temporalis nächst dem Uncus.

Die vordere Querwindung läßt später als alle übrigen Sinnessphären, insbesondere erst nach der Sehsphäre (Nr. 5) markhaltige Nervenfasern erkennen. Dafür, daß die Felder 4, 4 und 10 Beziehungen zum Hören haben, spricht tatsächlich keine einzige sichere Tatsache. Lediglich Nr. 7 kommt hier in Betracht; in bezug auf dieses Feld besteht aber eine solche Übereinstimmung zwischen den Aufschlüssen aller am Menschen in Betracht kommenden Untersuchungsmethoden, daß ich seine Beziehungen zum Hörsinn für durchaus gesichert halte.

Besonders bei etwa 50 cm langen Früchten läßt sich ein markhaltiger Faserzug nachweisen, welcher von der inneren Kapsel bzw. dem Linsenkern her in das Mark der vorderen Querwindung eintritt. Daß es sich um ein Projektionssystem handelt, geht schon aus diesem Verlauf hervor, und erscheint demgemäß für den fraglichen Faserzug die Bezeichnung „primäres Projektionssystem der vorderen Querwindung" gerechtfertigt. Balkenfasern oder Fibrae arcuatae sind daneben im fraglichen Entwicklungsstadium nicht markhaltig; sie erhalten erheblich später (etwa zur Zeit der völligen Reife) Markscheiden, und wird es dann viel schwieriger, ja schließlich unmöglich, rein myelogenetisch die Ausbreitung des primären Stabkranzbündels der vorderen Querwindung über die Rinde festzustellen. Solange nur Stabkranzfasern markhaltig sind, zeigt sich auf das deutlichste, daß die große Mehrzahl derselben in die inneren zwei Drittel der Querwindung einstrahlt das äußere Drittel erhält weit weniger, und nur ganz vereinzelte gehen in den außen freiliegenden Teil der 1. Temporal windung über. Nach abwärts lassen sich die fraglichen Stabkranzbündel zum Teil direkt bis gegen den inneren Kniehöcker verfolgen; andere beschreiben vielfache Krümmungen und entziehen sich dem sicheren Nachweis, bevor sie den Kniehöcker erreichen. Immerhin gewinnt man allenthalben den Eindruck, daß sie dem inneren Kniehöcker zustreben, welcher zur fraglichen Zeit ein deutlich abgrenzbares Bündel markhaltiger Fasern gegen die innere Kapsel und die äußeren Sehhügelabschnitte entsendet. Daß dieses Stabkranzbündel des inneren Kniehöckers sich in das primäre Projektionssystem der vorderen Querwindung unmittelbar fortsetzt, läßt sich einwandfrei auf dem Weg der sekundären Degeneration feststellen. Bei Zerstörung der vorderen Querwindung degeneriert nicht nur das fragliche Stabkranzbündel des inneren Kniehöckers total, wie ich mich an mehreren eigenen Fällen überzeugt habe, sondern letzter selbst geht auch in seinen zelligen Elementen zugrunde und gelegentlich beteiligt sich auch das Brachium conjunctivum posticum

1 Rindenfelder Nr. 4a und 4 nach meiner vorletzten Zählung (vgl. Arch. f. Anat. u. Phys. 1905. Anat. Abteil. S. 337).

2 Nr. 7 meiner Zählung a. a. 0.
3 Nr. 10 meiner Zählung a. a. O.

bis zum hinteren Vierhügel.' Ich halte es hiernach für erwiesen, daß das primäre Projektionssystem der vorderen Querwindung tatsächlich nichts anderes darstellt, als das oberste Glied des akustischen Projektionssystems, und zwar zunächst desjenigen Teils, in welchen der innere Kniehöcker eingeschaltet ist, also wie aus meinen und BECHTEREW's Untersuchungen hervorgeht, des N. cochlearis, während bezüglich des N. vestibularis Zweifel geboten sind. Diese Auffassung wird auch durch die klinische Beobachtung insofern gestützt, als isolierte Zerstörung der linken vorderen Querwindung worttaub macht, und zwar, wie die wenigen bekannten Fälle isolierter Zerstörung beweisen, dauernde Worttaubheit verursacht, während totale Anacusie nur in Fällen beobachtet worden ist, wo die Gegend der vorderen Querwindung beiderseits zerstört gefunden wurde, dann aber auch regelmäßig vorhanden war.

Ich halte es hiernach für hinreichend begründet, das primäre Projektionssystem der vorderen Querwindung kurz als „Hörstrahlung" zu bezeichnen, d. h. als denjenigen Teil des Stabkranzes, welcher der Leitung von Gehörseindrücken zur Rinde dient. Sollten in Zukunft, was ich vorläufig für recht unwahrscheinlich halte, noch für weitere Abteilungen des Stabkranzes Beziehungen zur Leitung akustischer Erregungen nachgewiesen werden, so würde man eventuell eine primäre, sekundäre u. dergl. Hörstrahlung zu unterscheiden haben. Vorläufig ist nur die oben beschriebene bekannt, und wir haben demgemäß auch nur diejenigen Rindenabschnitte als Hörsphäre zu bezeichnen, in welche die Hörstrahlung eintritt. Es empfiehlt sich diese Begriffsbestimmung um so mehr, als hierdurch eine durchaus eindeutige Definition dessen, was man unter einer Sinnessphäre der Großhirnrinde zu verstehen habe, gegeben wird. Nicht darauf kommt es in erster Linie an, daß diese Rindenabschnitte an Sinnesempfindungen, Sinneswahrnehmungen einer besonderen Qualität, hier der Gehörseindrücke, beteiligt sind, sondern auf die rein anatomische Eigenschaft als Eintrittsstellen bestimmter Sinnesleitungen in die Rinde. Die Abgrenzung von Sinnessphären in diesem Sinne erscheint als eine durchaus lösbare Aufgabe, während der exakte Nachweis, daß psychische Vorgänge wie die eben genannten ausschließlich an einen genau umgrenzten Rindenbezirk geknüpft sind, vermutlich niemals wird geführt werden können.

Die Vergleichung zahlreicher gleichaltriger Früchte ergibt, daß die Hörstrahlung in der Hauptsache sich stets auf das Gebiet der vorderen Querwindung beschränkt, und erscheint dieser Ausdruck auch insofern gerechtfertigt, als man

1 Ob in der lateralen Schleife auch Degenerationen sich finden, vermochte ich noch nicht einwandsfrei festzustellen.

2

* Ich halte einen neben dem hinteren Längsbündel verlaufenden, sehr früh sich um markenden Faserzug, welcher von Zellgruppen am Boden der Rautengrube ausgeht, für die centrale Vestibularisleitung; dieses Bündel tritt in den ventro-lateralen Thalamuskern ein, direkt neben bzw. vor dem inneren Kniehöcker. Die Stabkranzfasern dieses ventralen Kernes berühren sich vielfach mit dem Stabkranz des inneren Kniehöckers.

3

Vgl. besonders BALLET (Revue neurologique 1903. Nr. 14. S. 685).

* Sollte man demgegenüber etwa einwenden, daß die Flächenausdehnung der Hörsphäre unter dieser Voraussetzung doch recht gering erscheine, so möchte ich entgegen.

ohne Zwang auch den kleinen Abschnitt der linken Schläfenwindung, mit welchem die Querwindung verschmilzt, noch zu letzterer rechnen kann; wenigstens sind beide nicht irgendwie scharf gegeneinander abgegrenzt. Hiernach verdient die vordere Querwindung die Bezeichnung als „Hörwindung" (FLECHSIG).1

Hieran ändern auch gewisse Variationen in der äußeren Form bzw. in der Anordnung der gesamten temporalen Querwindungen nichts Wesentliches. Die vordere Querwindung kann sich in ihrer äußeren Hälfte gabelförmig teilen; dann verteilt sich die Hörstrahlung auf beide Teil windungen, besonders auf die vordere. Im übrigen sind Variationen weit seltner, als es auf den ersten Blick vielfach den Anschein gewinnt. HESCHL hat zuerst auf statistischem Wege nachgewiesen, daß die vordere Querwindung die konstanteste von allen Querwindungen des Schläfenlappens ist. Tatsächlich variieren die neben der Hörwindung vorhandenen Windungen der dorsalen Schläfenlappenfläche häufiger; doch hat HESCHL nur einen kleinen Teil der hier zu berücksichtigenden Verhältnisse richtig erkannt. In erster Linie hat er darauf hingewiesen, daß sich gewisse Unterschiede beider Seiten häufig nachweisen lassen insofern, als links die vordere Querwindung nach hinten häufig durch eine Furche abgegrenzt wird, welche von der linken Schläfenfurche ausgehend die linke Schläfenwindung durch schneidet und sich in die regelmäßig hinter der vorderen Querwindung vorhandene Furche der oberen Schläfenlappenfläche fortsetzt. Ich halte es für angemessen, diese von HESCHL zuerst gewürdigte Furche als HESCHL'sche Furche zu bezeichnen. H. hat dieselbe nicht nur links um das Fünffache häufiger angetroffen als rechts; sie findet sich auch beim männlichen Geschlecht angeblich viel häufiger als beim weiblichen, so daß HESCHL geneigt ist, hierin einen Geschlechtsunterschied zu erblicken. Nach meinen Untersuchungen ist diese letztere Annahme indes nicht hinreichend erwiesen, so groß auch das Material ist, auf welches HESCHL seine Anschauungen gründet. Ich habe die HESCHL'sche Furche an hier verstorbenen weiblichen Personen bisher nicht gar selten getroffen. Ganz entgangen ist HESCHL ein weiterer Unterschied beider Seiten, der sich auf den hinter der HESCHL'schen Furche gelegenen Abschnitt der oberen Schläfenlappenfläche bzw. der linken Temporalwindung bezieht. Abschnitt ist links in der Regel länger als rechts, und während links in der Regel eine ausgeprägte hintere Querwindung fehlt, ist rechts in der Regel eine solche vorhanden. Links findet sich weit häufiger eine mehr ebene Fläche

halten, daß die graue Substanz der vorderen Querwindung noch um mehr als das 10 fache die graue Substanz des inneren Kniehöckers an Masse übertrifft. Sollte es nicht im Gegenteil ein prinzipieller Fehler sein, eine viel größere Ausdehnung anzunehmen? Unter letzterer Voraussetzung würden die Fasern der Hörstrahlung nicht direkt nebeneinander, sondern zerstreut in relativ weiten Zwischenräumen in die Rinde eintreten. Tatsächlich lassen alle sicher bekannten Sinnessphären gerade das gegenteilige Verhalten erkennen, insbesondere Riech- und Sehsphäre.

1 Diese Bezeichnung erscheint mir weit rationeller, als die von manchen Neurologen angewandte: „HESCHL'sche Windung". HESCHL hat die Windung weder entdeckt (sie wurde schon vorher von BURDACH unterschieden und von BARKOW Gyrus magnus sinus operti benannt), noch hat er ihre akustische Bedeutung auch nur geahnt.

M

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