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Die Section ergab in allen Fällen, sogar in solchen, in denen der Strom durch den uneröffneten Schädel geleitet war, Erweiterung und Blutüberfüllung der Hirngefässe. Bei Application starker Ströme wurden häufig Hämorrhagieen gefunden, sowohl im Gehirn selbst, als auch in den Meningialräumen, zuweilen entfernt von den Applicationsstellen der Electroden. Während des Experiments der Stromdurchleitung beobachtete Verf. Bildung einer grossen Menge von Gasen, vermischt mit weisslicher Flüssigkeit, an den Austrittsstellen der Nadeln, welche mit der Kathode in Verbindung standen; an der Anode dagegen war die Gasbildung sehr gering und von Flüssigkeit keine Spur. Die Destruction des Nervengewebes war an der Kathode sehr beträchtlich, und die Läsion an der Stelle, wo die Nadel lag, unregelmässiger Gestalt mit unterwühlten Rändern, das Gewebe in der Umgebung erweicht; dagegen entsprach die Läsion an der Anode dem Umfang der Nadel, und die Hirnsubstanz erschien hier wie cauterisirt und bröckelig. An den vom Verf. demonstrirten mikroskopischen Präparaten war zu sehen, dass die bedeutendsten destructiven Veränderungen des Gewebes an der Kathode erzeugt wurden.

Dr. W. Woskressenski: Ueber die Sensibilität der Haut bei Gesunden und Paralytikern.

Die Untersuchungen betrafen hauptsächlich das Tastgefühl und die Schmerzempfindlichkeit, und wurden an sieben gesunden Personen und fünf Paralytikern angestellt. Sie führten zu folgenden vornehmlichsten Resultaten: Identische Stellen der Körperoberfläche weisen an verschiedenen gesunden Subjecten beträchtliche Schwankungen hinsichtlich des Tast- und Schmerzgefühles auf; dieselben lassen sich numerisch bestimmen, vermittelst eines von Dr. Kulbin construirten Mechanoästhesiometers, und sie sind für die Schmerzempfindlichkeit bedeutend grösser, als für den Tastsinn. Solche Stellen der Haut, die unmittelbar an Knochen anliegen, sind empfindlicher, als die über Weichtheilen liegende Hautbedeckung. Bei Paralytikern wurden mannigfaltige Störungen der Hautsensibilität, vorzüglich Herabsetzung derselben, gefunden.

Prof. W. v. Bechterew: Ueber syphilitische multiple Sclerose des Gehirns und Rückenmarks nebst Bemerkungen über absteigende Degeneration des vorderen Kleinhirnstiels und des centralen Haubenbündels.

Den wesentlichen Inhalt des Vortrags bildet die Mittheilung folgenden Falles syphilitischer Affection des Centralnervensystems mit Autopsie:

Ein Jahr nach der syphilitischen Infection hatte sich spastische Paraplegie eingestellt, mit localer Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule, Parästhesien und Harnbeschwerden. Anfänglich wurde die Paraplegie nach specifischer Behandlung besser, doch bald nahm sie wieder zu, und ausserdem traten Sprachstörung, Strabismus und Diplopie auf. Im weiteren progressiven Verlauf der Krankheit sind notirt zwei apoplectoide Anfälle, zwangsmässiges Lachen, Trigeminuslähmung und linksseitige Hemianopsie. Nach 2 Jahren und 3 Monaten tödtlicher Ausgang. Bei der Section fand Verf. Trübung der Pia mater längs der Gefässe, syphilitische Arteriitis an den basalen Arterien, und stellenweise graue disseminirte Plaques; dieselben sind fest mit den Arterien verwachsen, und an ihrem Rand ist das Hirngewebe erweicht. Solche Plaques wurden gefunden in der Brücke, im corpus quadrig. poster., in der oberen Etage des linken Hirnschenkels, und mehrere an der vorderen Fläche des Rückenmarks. Die mikroskopische Untersuchung erwies als Bestandtheile der Plaques verdickte Gefässe, Bindegewebe und Granulationselemente. Die weiteren pathologischen Befunde in diesem Fall waren: aufsteigende Degeneration der Goll'schen Bündel im oberen Brust- und Halsmark; absteigende Degeneration der linken Pyramide, der rechten lateralen und beider vorderen Pyramidenbahnen; absteigende Degeneration eines kleinen Bündels des linken vorderen Kleinhirnstiels; absteigende Degeneration des vom Verf. beschriebenen centralen Haubenbündels bis zur gleichseitigen unteren

Olive; auf und absteigende Degeneration der linken Schleifenschicht aufwärts bis zum Sehhügel, abwärts bis zu den Kernen der contralateralen Hinterstränge, die merkbar atrophisch erschienen.

Verf. hält für den Ausgangspunkt der inselförmig zerstreuten Herde eine syphilitische Gefässerkrankung, und darin besteht seines Erachtens die Ursache des Unterschiedes dieses Falles von der gewöhnlichen disseminirten Sclerose, in welcher die Herde anderer Structur sind und keine secundären Degenerationen bedingen. Auch der klinische Verlauf seines Falles unterscheidet sich scharf von dem Symptomenbild der atypischen Formen (sogen. Formes frustes), und ist mehr oder weniger für Syphilis des Centralnervensystems charakteristisch. In Anbetracht der geschilderten pathologisch-anatomischen Befunde und einiger ähnlicher Fälle von Charcot, Gombault, Kahler u. A., stellt Verf. eine besondere Form syphilitischer Erkrankung des Nervensystems auf, unter dem Namen ,,Sclerosis disseminata cerebro-spinalis syphilitica". P. Rosenbach.

IV. Bibliographie.

Nouvelle Iconographie de la Salpetrière, fondée sous la direction de F. Raymond etc. etc. (Nr. 2. sprochen von Dr. Frenkel in Heiden (Schweiz).

par J. M. Charcot, publiée Mars et Avril 1895.) Be

1. Sur les affections de la queue de cheval à propos de deux cas de ces affections, par F. Raymond. (Leçons faites à la Salpetrière les 14. et 21. Décembre 1894, reçueillies par Leopold Lévi, interne du service.)

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Den Hauptinhalt des vorliegenden seit Charcot's Tode zweiten Heftes bildet die wichtige Arbeit von F. Raymond über die Erkrankungen der Cauda equina. Es ist eine, meines Wissens die erste, monographische Bearbeitung unserer gesammten Kenntnisse über die Anatomie, Physiologie, Pathologie und Klinik der Cauda equina. Die Topographie, ihre Beziehung zu dem Skelett, den Intervertebrallöchern u. s. w. werden unter Verwerthung neuer anatomischer Untersuchungen und an der Hand übersichtlicher Zeichnungen und Maassangaben eingehend erörtert. Ausführlich besprochen wird selbstverständlich auch die Differentialdiagnose, wobei sich als wichtigstes Charakteristicum für Läsionen dieser Gegend die Combination von Symptomen centralen und peripheren Ursprungs ergiebt. Zwei selbstbeobachtete Fälle (ohne Autopsie) werden ausführlich beschrieben. Zu einem erschöpfenden Referat eignet sich diese des eingehendsten Studiums würdige Arbeit nicht. Es sei nur auf das Cardinalsymptom hingewiesen, nämlich auf die stets vorhandene Anästhesie der Blase, des Rectum, des Penis bezw. der Vulva, also der ganzen Vesico-Genitalgegend in Verbindung mit Hautanästhesie bezw. Decubitus einer umschriebenen Stelle in der Glutaalgegend und mehr oder minder umschriebener Stellen des Unterschenkels und des Fusses.

2. Le sein hystérique, par Gilles de la Tourette, professeur agrégé à la Faculté de Paris, médecin des hôpitaux.

Der Verf. giebt einen geschichtlichen Ueberblick, aus dem hervorgeht, dass schon. seit zwei Jahrhunderten die Affection bekannt und vielfach richtig gedeutet worden

Die Krankheit gehört zu der Gruppe der mit dem unglücklichen Namen ,,hystéries locales" versehenen, wie sie von Brodie studirt worden sind. Die Befallenen zeigen immer hysterische Stigmata und die localen Erscheinungen, meist in Anfällen auftretend, combiniren sich oft mit choreatischen Bewegungen des Körpers. Locale Symptome, mit seltenen Ausnahmen einseitig, sind: Veränderung der Haut

farbe über der Brust. Die Haut ist mehr oder minder stark geröthet, bis zu Scharlachröthe, die Verfärbung kann sich bis zu Violett, ja Schwarz steigern. Enorme Hyperästhesie für Berührungen. Parästhesien. Manchmal sind bewegliche Tumoren in der Drüsensubstanz gefunden worden. Die Brust ist permanent oder anfallsweise stark angeschwollen. Locales Trauma ist oft das auslösende Moment. Die praktische Wichtigkeit der Diagnose ergiebt sich aus der Thatsache, dass fast immer ein chirurgischer Eingriff gerathen, in einigen Fällen auch vorgenommen wurde und zwar ohne Erfolg. Es werden zwei interessante, von Carré de Mongeron in seinem Buche:,,La verité des miracles" (1745) angeführte Fälle erzählt, wonach zwei Frauen, welche seit 15 bezw. 20 Jahren (!) an ulcerirendem Mammacarcinom krank lagen, plötzlich, die eine durch eine Reliquie, die andere auf einer geheiligten Grabstätte, geheilt wurden. Beide zeigten zweifellos hysterische Stigmata, Lähmungen u. s. w.

3. De la forme du corps en mouvement, par Paul Richer.

Der Aufsatz stellt einen Auszug aus einem demnächst erscheinenden Werke des Verfassers unter dem Titel: ,,Physiologie artistique de l'homme en mouvement" dar. Er beschäftigt sich mit den Contractionszuständen der Musculatur am lebenden Menschen, soweit sie äusserlich sichtbar werden. Die Ergebnisse des Verf. sind aber nicht nur für die künstlerische Darstellung der in Bewegung befindlichen menschlichen Gliedmaassen von Bedeutung, vielmehr bieten sie wichtige Aufschlüsse über viele Punkte des leider noch so wenig bearbeiteten Gebietes der Mechanik der Musculatur. Jeder, der sich für die Physiologie der Bewegung interessirt, sollte die Arbeit gründlich studiren. Vorzügliche Momentaufnahmen illustriren den Text.

4. Névralgie de la 8. racine posterieure cervicale droite. Resection intra-rachidienne de cette racine et des racines sus et sous-jacentes. Guérison opérative et fonctionelle, par A. Chipault et A. Demoulin.

Ein 34 jähriger Beamter erkrankt plötzlich ohne bekannte Ursache an Schmerzen, Hyper- und Parästhesien im Gebiete des rechten Ulnaris, welche sich in einigen Monaten bis zur Unerträglichkeit steigern. Die übliche Therapie, ferner Dehnung des N. ulnaris und schliesslich Resection des Nerven verschlimmern nur den Zustand. Atrophie der vom N. ulnaris versorgten Musculatur in Folge der Resection. Eine genaue Untersuchung ergab, dass die hyperästhetischen Bezirke an dem rechten Arm derjenigen Zone entsprachen, welche der hinteren Wurzel des 8. Cervicalnerven zugeordnet ist entsprechend noch nicht publicirter Untersuchungen der Verfasser. Resection der 8. Cervicalwurzel, der 7. Cervical wurzel und der ersten Dorsalwurzel. Vollkommene Heilung. Bemerkenswerth ist, dass die Durchschneidung der drei Wurzeln nur eine leichte, schnell vorübergehende Hyperästhesie bewirkt hat.

V. Vermischtes.

Psychiatrisches und Neurologisches aus der Geschichte der Medicin.

Folgende nicht oder nur wenig bekannte psychiatrische und neurologische Notizen1 aus dem soeben erschienenen, ausgezeichneten neuen Werke von Baas: ,,Die geschichtliche Entwickelung des ärztlichen Standes und der medicinischen Wissenschaften" (Berlin, Wreden, 1896, 480 S.), dürften Manchen der Fachcollegen willkommen sein:

Auf Viti-Leon (Fidschi-Inseln) giebt es eine Irrenanstalt. Epileptiker sind bevorzugte Glieder der,,Medicinmänner" bei den Feuerländern. Die Wanyors (Neger Afrika's) kennen

1 Und zwar zum grossen Theile mit den eigenen Worten des Verfassers.

gegen die unter ihnen häufige Epilepsie kein Mittel (wie auch wir, fügt Verf. hinzu). Bei den Arabern Zanzibar's gilt Besessenheit vom Teufel als häufige Krankheitsursache, besonders bei Krämpfen. In Baghirmi (Centralafrika) schlägt man Epileptische als unheilbar besessene einfach tot, bei dem Abessiniern werden sie geprügelt, um den Dämon auszutreiben. Ein Zauberspruch der uralten Gumerier oder Akkadier (ihre Sprache war schon im 17. Jahrh. v. Chr. tot!) lautet so: „Der Irrsinn seines Kopfes möge sich lösen, die Krankheit des Hauptes, die wie ein Nachtgespenst ihn bannt, möge sich lösen." Die alten Assyrer kannten auch Wahnsinn und Epilepsie. Im Papyrus Prisse (dem ältesten Schriftwerk der Welt) sind bereits des Gehörs- und Gesichtsnachlassens, des Kindischwerden im Alter u. s. w. gedacht. Bei den alten Aegyptern wendete man gegen die durch Dämone (Chu) erzeugten Geisteskrankheiten Amulette an. Parrot will unter den im Papyrus Ebers erwähnten Leiden auch Cretinismus erkennen. Nach Stuklmaur treibt man im Lande der Mboë (Ostafrika) Geisteskranke, wenn Zaubermittel nichts helfen, in den Wald, damit sie verhungern oder lässt sie durch gefällte Baumstämme erschlagen! Nach dem Chinesen sitzt die Seele in der siebenlappigen Leber und im Gehirn; Gemüth, Freude und Entzücken im Magen. Unterschied zwischen Nerven, Sehnen, Venen und Arterien giebt es nicht.

Solon befahl schlimme Irre einzusperren, gutmüthige in Privatpflege zu belassen, dasselbe thaten die Römer. Unter den Christen war es zuerst Origines, der die Irren als von Dämonen besessene, erklärte, daher mit Erscheinungen u. s. w. behandelte.

Die Hippokratiker unterschieden nicht Nerven, Sehnen, Bänder, Adern von einander. Die Nerven waren hohl wie die Gefässe und führten wie die Schlagadern das „Pneuma“. Das Gehirn bildet auch den Samen, der durch das Rückenmark in die Hoden gelangt und gilt auch als Sitz des Denkvermögens, während ,,die Seele" im Blute wohnt. Herophilos aus Chalcedon († 284 a. Chr. n.) erforschte zuerst gründlicher das Gehirn, entdeckte die venösen Sinus (torcular Herophili), die Choroidea, den Calamus scriptorius, beschrieb genau den 4. Ventrikel (erklärt ihn für den Seelensitz), kannte Nerven, warf sie aber zum Theil mit den Sehnen zusammen. Nach Erasistratos († 280 a. Chrn.) waren die Gehirnwindungen, besonders des Kleinbirns, Sitz des Denkvermögens und der Psychosen. Er kannte sensible und motorische Nerven; jene entspringen aus dem Gehirn, diese aus den Häuten. Celsus (45 ad. 50 p. Chr.) kennt 3 Arten von Phrenitis. Spricht zuerst von Gesichtshallucinationen. Bei gewaltthätigen Kranken ist Zwang nöthig; wo Schlaf fehle, gäbe man Schlafmittel. Ernste Tobsüchtige sind schwerer zu heilen, als fröhliche. Aretaios aus Kappadokien (ca. 30-90 p. Chr.) kennt die Sehnervenkreuzung, kennt die Lähmung der Empfindung und Bewegung, weiss ferner, dass sie auf der entgegengesetzten Seite eintritt bei Hirnverletzungen. Auch die Bleilähmung ist ihm bekannt. Ruphos von Ephesus (ca. 50 p. Chr.) entdeckte die Sehnervenkreuzung, lässt die Nerven aus dem Gehirn entspringen und spricht von sensiblen und motorischen Nerven. Galen († 201 od. 210 p. Chr.) beschrieb zuerst die art. et ven. centr. ret. (als Ursache des Hohlseins des Opticus), auch die Vena magna (Galeni). Die Nerven entspringen aus der Leber. Er durchschnitt experimenti causa, den N. recurrens, den 5. Halsnerven, das Rückenmark und trug sogar Gehirnschichten ab. Die 7 Gehirnnerven sind als Empfindungsnerven,,weiche", die 60 des Rückenmarks als Bewegungsnerven,,harte"; der Sympathicus ist der Grund für die Empfindung der Eingeweide. Das Gehirn ist der Sitz für die Geistesthätigkeit und die Psychosen. Den männlichen Samen erzeugt das Gehirn bei dem Coitus. Poseidonios (zwischen 360-375) sagt, dass bei Erkrankung des vorderen Hirnventrikels die Vernunft frei bleibe, aber verkehrte Einbildungen entständen, dass bei solchen des mittleren Ventrikels die Vernunft und bei solchen des hinteren das Gedächtniss verloren gehe, damit aber auch die beiden anderen Fähigkeiten.

Mittelalter. Die Araber sollen schon Hospitäler für Geisteskranke gehabt haben. Der berühmte Rhazes († 923) kannte die doppelten Recurrentes und selbst den Infratrochlearisast des Nasenaugennervs. Aviceuna († 1036) kennt den Ticdouloureux und andere Nervenkrankheiten. Irrenabtheilungen quasi fanden sich schon früher in europäischen Hospitälern, z. B. in Zürich schon im 12. Jahrh., aber auch eigene Irrenhäuser (im 13. Jahrh. in Feltre, 1326 in Elbing, 1409 in Sevilla u. s. w.). Die Irren wurden angekettet, geprügelt a. s. w. In Lübeck hiessen diese Anstalten,,Tollkisten" und standen unter dem Büttel. Auch dienten zeitweise Schuldgefängnisse als Irrenanstalten. Später nahmen sich wohlhabende Bürger der Irren an und es ward etwas besser. Von allen Kranken des Mittelalters wurden die armen Geisteskranken am schlechtesten untergebracht, auch in Thürmen (Narrenthürmen), Gefängnissen u. s. w., öfters über die Grenze,,abgeschoben", oder zeitweise ausgepeitscht. Aerztliche Aufsicht oder Behandlung fehlten überall. In England war 1571 den Bauern gestattet, Irre, die als ,,Wehrwölfe" in den Wäldern irrten, zu jagen und zu töten. In London ward 1577 die 1. Irrenabtheilung gegründet. 1497 in Paris das erste psychiatrische" Specialspital. Laufranchi († 1815) beschreibt zuerst die Erscheinungen der Hirnerschütterung. Felix Platner († 1614) verlangte psychiatrische Behandlung. Der berühmte Vesal († 1564) entdeckte die graue Hirnsubstanz, die Hirnbewegung, das Nichtdurchbohrtsein des Opticus; er liess aber noch den Schleim aus dem Gehirn abfliessen. Leugnete die Dreizahl der Hirnhöhlen. Eustachius († 1574) entdeckt den Ursprung des

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N. opt., den er aber noch für hohl hielt, aus den Sehhügeln, ferner den N. abducens. Galloppio († 1562) wies nach, dass aus den Hirnhäuten keine Nerven entspringen. Bei Sylvius († 1672) bildeten die Lebensgeister" in dem Nerven-Röhrchen" quasi einen zweiten Kreislauf neben dem des Bluts; sie entstehen im Gehirn, das noch ein drüsiges Gebilde ist. Highmore († 1685) hielt die Hysterie und Hypochondrie nicht für eine Nervenkrankheit, sondern für eine Folge der Stockung geblähten Blutes in der Lunge. Der tüchtige Sydenham († 1689) meinte, dass die Heilkunst des Arztes oft in der richtigen psychischen resp. suggestiven Beeinflussung des Kranken und seiner Umgebung bestände; je vollkommener ein Arzt darin sei, ein um so grösserer Künstler sei er dann. Als ein naher Reformator erwies sich aber Conrad Schneider († 1680), indem er die Unmöglichkeit des Herabfliessens von Schleim aus dem Gehirn nachwies, wodurch die irrige, durch alle vorausgehenden Jahrhunderte unbezweifelte Lehre von der Drüsennatur der Gehirnmasse fiel, in deren Hohlraum allein die Geisteskräfte hausen sollten, und damit fiel die Lehre, dass durch das Herabfliessen des ,,Hirnschleims" in die verschiedenen Organe die verschiedenen catarrhalischen Leiden entständen. Maurocordato († 1710) kannte die Pupillenverengerung durch den 3. Nerven. Leeuwenhoek beseitigte die alte Lehre, dass das Gehirn blutleer sei, indem er mikroskopisch zahlreiche Blutgefässe in seiner Substanz nachwies. Malpighi hielt die Hirnrinde für drüsig, wegen irriger Deutung der Ganglienzellen. Man glaubte daraufhin, hier würden die Spiritus" abgesondert, die dann mittelst der Hirnbewegung nach Pacchiani geschah dies durch die Dura mater, die ein mehrbauchiger Muskel nach ihm sein sollte durch die für hohl gehaltenen Nerven hin- und hergetrieben wurden, ja man schrieb den Nerven selbst Bewegung zu, wodurch Empfindung entstände. Diese ganze Lehre fiel erst durch Haller. Descartes führte zuerst die specifische Sinnesempfindung (des Auges) auf adäquate Reize zurück; nach Hirsch soll er auch schon die Reflexbewegung gekannt haben. Perrault († 1688) erklärte die Gehörnervenfasern im Spinalblatte für Träger der Gehörempfindung. Gehirn- und Nervenanatomie wurden bereichert und bearbeitet besonders von: Sylvius, Willis, Vieussenius, Brunner, Duverney (Ganglien), du Petit († 1741; Faserkreuzung im Gehirn und Rückenmark) und Barri (der den Fettreichthum des Gehirns auf 25% angab). Im 18. Jahrh. gab es Irrenärzte im heutigen Sinne höchstens in England, wo in London 1751 die Irrenanstalt St. Lukas unter Battie errichtet ward. Erst gegen Ende des Jahrhunderts erstanden auch in anderen Ländern Specialisten. Mitte des Jahrhunderts durften harmlose Irre in London betteln; in Frankfurt a. M. setzte ein Pfarrer 1777 den Irren täglich 2 Stunden geistlich zu, doch sah wenigstens ein Arzt 3 Mal nach ihnen. In Wien kettete man die Irren noch bis in die 40er Jahre unseres Jahrhunderts an. Whytt († 1766), berühmter Neuropatholog, schloss aus den an geköpften Fröschen nach Reizung der Schenkel beobachteten Abwehrbewegungen, dass die Seele nicht allein im Gehirne sitze. Petit († 1750) beobachtete Pupillen verengerung nach Sympathicus-Durchschneidung. Wenig bekannt ist, dass Auenbrugger († 1809), der berühmte Erfinder der (unmittelbaren) Percussion, auch zwei psychiatrische Schriften herausgab: experimentum nascens de remedio specif. in mania virorum 1776 und von der stillen Wuth oder dem Triebe zum Selbstmord 1783. Pargeter (ca. 1792) betonte die Erblichkeit der Psychosen. Für die psychische Therapie (liebevolle Behandlung, keine Ketten, kein Zwang, Beschäftigung) wirkte am meisten der Quäker und Laie William Tyke (1732-1822), der 1792 in York_ein Asyl für die Irren gründete. Der erste bedeutende amerikanische Schriftsteller über Psychosen war Benjamin Rush, die ersten Irrenanstalten Amerikas entstanden aber, so scheint es, in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts, zu Utica, New York u. s. w. Das Recht der Irren auf menschliche Behandlung ist also englischen Ursprungs, ja letztere existirte schon, als Pinel dafür in Frankreich eintrat und die weite Verbreitung veranlasste. Er trennte die Verbrecher von den Irren, schaffte die körperliche und arzneiliche Misshandlung ab, führte die psychische Behandlung ein und lehrte die Psychosen als körperliche Leiden auffassen. Sein Nachfolger Esquirol eröffnete 1817 in Frankreich die 1. Privatirrenklinik. 1834 waren in französischen Provinzstädten aber noch Irre in Käfigen! Pathologisch-anatomische Gehirnuntersuchungen an Geisteskranken stellte in Deutschland zuerst Greding († 1775) an, Reil ward aber der deutsche Pinel, zum praktischen Reformator jedoch bekanntlich Langermann († 1832), der zuerst die Anstalt alten Stils bei Bayreuth in eine moderne Irrenanstalt umwandelte und die Heilbaren von den Unheilbaren trennte; Horn endlich (1848) eröffnete in der Charité zu Berlin die erste deutsche psychiatrische Klinik. Näcke (Hubertusburg).

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.

Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig.

Druck von METZGER & WITTIG in Leipzig.

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