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markes gerade an der Stelle in die graue Substanz eintreten, die der Localisation. unseres Stranges entsprach. Hieraus ergiebt sich der einfache Schluss, dass zwischen jenem Strange und den sensiblen Rückenmarksfasern ein Zusammenhang bestehen muss.

Es ist nun noch die Frage zu erörtern, worin die physiologische Bedeutung dieser weissen, in der grauen Substanz des Rückenmarkes verlaufenden Fasern besteht

Ich bin nicht im Besitze eigener Untersuchungen über diese Frage, allein die Pathologie, die klinische Erfahrung und vor allem die experimentelle Physiologie haben ein so reiches diesbezügliches Material zusammengebracht, dass wir diese Daten nur zusammenzustellen und kritisch zu beleuchten brauchen, um daraus allgemeine Schlüsse folgern zu können die Physiologie und Pathologie des neuen Stranges sind ja bei weitem älter als die Anatomie desselben.

Schon vor sehr langer Zeit, nämlich im Jahre 1823, gab BELLINGERI zuerst der Voraussetzung Laut, dass die Eindrücke durch die graue Rückenmarkssubstanz nach dem Gehirne geleitet werden. Er begründete diese Behauptung durch die von ihm entdeckte Thatsache, dass die Durchschneidung beider Hinterstränge des Rückenmarks bei Thieren das Gefühl in den hinteren Körperpartien nicht aufhebt.

In demselben Jahre (1823) constatirt FODERA gleichfalls Erhaltung der Sensibilität (sensibilité) bei Kaninchen, denen die Hinterstränge des Rückenmarkes querdurchgeschnitten worden waren; dagegen wurde in einem Falle nach Längsspaltung der Hinterstränge im Lumbalabschnitte des Rückenmarkes die Empfindung (sentiment) aufgehoben.

SCHOEPS (1827), ROLANDO (1828) und CALMEIL (1828) bestätigen obige Beobachtungen; der letztere fügt noch hinzu, dass die graue Substanz zur Fortleitung der Eindrücke zum Gehirn genügt.

VAN DEEN (1841) ist der Ansicht, man könne die Leitungsfähigkeit der grauen Substanz nicht in Abrede stellen; er behauptet, dass die weissen Vorderstränge allein zur motorischen Leitung dienen, mit der grauen Substanz zusammen aber sowohl sensible wie auch motorische Functionen haben. Die Hinterstränge des Rückenmarkes allein wie auch in Verbindung mit der grauen Substanz bilden die sensible Leitungsbahn.

STILLING (1842) hält die hintere graue Substanz sowohl in Verbindung mit den Hintersträngen wie auch allein für reizempfindlich; die Hinterstränge büssen ihre Reizempfindlichkeit ein, wenn die graue Substanz zerstört wird. Der hintere Theil der grauen Substanz ist unentbehrlich bei der Fortleitung der Eindrücke zum Gehirn; bei totaler Querdurchschneidung der Hinterstränge bleibt die Empfindung erhalten, wenn auch nur eine dünne Schicht der grauen Substanz zurückgeblieben ist, welche die beiden Enden der durchschnittenen Stränge das obere und das untere verbindet.

Von ähnlicher Bedeutung ist die vordere graue Substanz für die Leitung der motorischen Regungen.

Nach STILLING ist also die graue Rückenmarkssubstanz der Hauptfactor

ohne den die weisse Substanz weder sensiblen noch motorischen Functionen genügen kann.

4 Jahre später, d. h. im Jahre 1846, zeigt BROWN-SÉQUARD, dass nach Durchtrennung der Hinterstränge die Schmerzempfindlichkeit in den unterhalb der Durchschneidungsstelle gelegenen Körpertheilen erhalten bleibt, ja sogar eine Steigerung derselben wahrzunehmen ist; dass schliesslich die peripherischen Reize von der grauen Substanz nach dem Gehirn geleitet werden können.

Werden bei Rückenmarksquerschnitten nur die Hinterstränge verschont, so wird nach BROWN-SEQUARD'S Ansicht an allen unterhalb derselben befindlichen Stellen die Reizempfindlichkeit ganz gehoben.

Im Jahre 1856 erschienen die auf diesem Gebiete klassischen Arbeiten SCHIFF'S. Ausser der Bestätigung der BROWN-SEQUARD'schen Anschauungen finden wir darin die Hypothese, dass in der grauen Substanz gewisse Nervenfasern existiren, die wohl leitungs- aber nicht erregungsfähig sind (conductrices maxis non excitables), für die SCHIFF die Bezeichnung estésodiques und für die analogen Fasern in der vorderen grauen Substanz die Bezeichnung kinésodiques vorschlägt.

Ausserdem behauptet SCHIFF, dass die Berührungsempfindungen von den Hintersträngen, die Schmerzempfindungen von der grauen Substanz fortgeleitet werden. Als Beweis führt er seine Experimente an Kaninchen an, denen im Cervicalmark 2 Querschnitte unter alleiniger Verschonung der Hinterstränge gemacht wurden.

SCHIFF'S Experimente wurden von LONGET1 nachgeprüft und die Ergebnisse desselben bestätigt. Obige Daten sind LONGET's Arbeit entnommen.

Diese von Einzelnen angenommenen, von Anderen zurückgewiesenen Auschauungen schienen durch die klinischen Symptome und das pathologisch-anatomische Bild der als Syringomyelie bekannten Rückenmarkserkrankung neue Bestätigung zu finden. Bei der Syringomyelie gehen Störungen der Schmerzund Temperaturempfindung einerseits und Destruction der grauen Rückenmarkssubstanz nebst Höhlenbildung neben einander her.

Wie verhält sich nun diesen Thatsachen gegenüber die neuere, von der Theorie des Neurons ausgehende Physiologie des Nervensystems? Da die Fortleitungsfähigkeit nur den Nervenfasern zuerkannt wird, diese aber in der grauen Rückenmarkssubstanz nicht gefunden werden (es sind hier natürlich nur die langen Nervenbahnen gemeint), so erklärt sie die Leitungsfähigkeit der grauen Substanz durch die sog. Summationswirkung (LEYDEN und GOLDSCHEIDER). Diese Hypothese scheint mir jedoch die Sache nicht in befriedigender Weise aufzuklären.

Weit natürlicher und näherliegender will mir folgende Hypothese erscheinen:

1 LONGET, F. A., Traité de physiologie. Troisième édition. Tome troisième. 1869. Paris. p. 341-347.

2 LEYDEN und GOLDSCHEIDER, Die Erkrankungen des Rückenmarkes und der Medulla oblongata. 1895. Wien. p. 41-42.

Der weisse Nervenfasernstrang, der die graue Rückenmarkssubstanz zwischen den vorderen Endigungen der Hinterstränge und dem Centralcanal durchläuft, gehört zur Gruppe der sensiblen Stränge und dient zur Leitung der Schmerz- und Temperaturempfindung.

Diese Hypothese widerspricht keinem der allgemein angenommenen physiologischen Postulate, sondern lässt sogar die bis jetzt noch etwas dunklen Resultate der Experimente SCHIFF'S und seiner Vorgänger in einem neuen Lichte erscheinen und gewährt vollkommene Aufklärung über das Wesen der Hauptsymptome der Syringomyelie.

Untersuchungen über den weiteren Verlauf der hier beschriebenen Fasern im verlängten Marke und im Grosshirn sind schon im Gange und werden hoffentlich bald zur Veröffentlichung gelangen.

3. Zur Lehre vom Muskeltonus.

[Aus der II. med. Klinik zu Budapest.]

Von Professor Dr. Ernst Jendrássik in Budapest.

Meine, derzeit noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen über den Muskeltonus fanden ihren Ausgangspunkt in einer ganz gleichen Beobachtung, wie sie FRENKEL in Nr. 8 dieses Centralblattes schilderte. Die Muskelschlaffheit bei der Tabes ist im Allgemeinen ein wenig beachtetes Symptom, wenn auch diese Erscheinung in einigen Lehrbüchern erwähnt wird. Die auffallendste Beobachtung in dieser Hinsicht machte ich bei einer Frau, deren Krankengeschichte ich im Jahre 1888 veröffentlichte, diese Patientin beugte sich nämlich bei vollkommen gestrecktem Kniegelenke derart im Hüftgelenke, dass sie sich mit ihrem Oberkörper ganz auf ihre unteren Extremitäten legte und den Kopf an den Füssen ruhen liess, dabei umklammerte sie ihre sehr unruhigen und höchst atactischen Beine mit den Händen; diese Körperstellung ist nur bei der grössten Hypotonie möglich. Man pflegt diese Herabsetzung des Muskeltonus mit dem Verluste der Sehnenreflexe in Zusammenhang zu bringen (so STRÜMPELL), und ich habe in dieser Hinsicht sehr beweisende Versuche schon im Jahre 1882 mitgetheilt.2

Es schien mir werth, den Versuch zu machen, diesen Zusammenhang zwischen dem Sehnenreflexe und eventuell zwischen gewissen Bewegungsstörungen und dem Muskeltonus beim Menschen durch Messungen der Tonusgrösse zu bestimmen, ich arbeitete deshalb eine diesem Zwecke dienliche Methode aus. Zu diesen Messungen gebrauchte ich photographische Aufnahmen bei passiv erhobenem, im Knie gestreckten Beine, während der zu Untersuchende auf einem Tische lag. Beugt man aber den Oberschenkel bei gestrecktem Unterschenkel

1 Archiv f. klin. Medicin. Bd. XLIII. S. 567.

2 Archiv f. klin. Medicin. Bd. XXXIII.

so weit es möglich ist, so beugt sich gleichzeitig das Becken auch, diese letztere Bewegung musste ich natürlich in Abzug bringen. Um die Beckenbeugung messen zu können, benutzte ich einen Stab, der mit einem Ende durch einen Assistenten an die Symphyse angedrückt gehalten wurde; an diesem Stabe waren, ca. 30 cm vom unteren Ende entfernt, zwei starke Kupferdrähte befestigt, welche mit ihren passend geformten freien Enden an die Spinae ant. sup. ossis ilei entweder durch den Pat. selbst, oder durch einen zweiten Assistenten festgehalten wurden. Dieser Apparat hatte also drei Stützpunkte, einen an der Symphyse und zwei am oberen Rande des Hüftbeines, somit zeigte der Stab, dessen freies Ende zur besseren Markirung weiss war, genau die Bewegungen des Beckens an. Die Aufnahme geschah nun derart, dass ich auf dieselbe Bromsilberplatte hinter

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einander zwei (Moment-) Aufnahmen machte, eine bei möglichst erhobener unterer Extremität, die andere in der horizontalen Ruhelage. Auf den so gewonnenen. Bildern konnte man zwei Winkel abmessen, den Bewegungswinkel des Oberschenkels und jenen des Stabes. Ziehe ich diese vom ersteren ab, so erhalte ich die passive Beweglichkeitsgrösse des Oberschenkels. Die Ausmessung geschah dadurch, dass ich am positiven Bilde den Trochanter major mit dem Malleolus ext. durch einen geraden Strich verband, desgleichen zeichnete ich den Winkel der Stäbe ein. Es finden sich zwar bei der höchstgradigen Erhebung des Beines einige Verschiebungen der Ausgangspunkte dieser Messungen, doch ist das so gering, besonders bei der Verkleinerung des Bildes auf der photographischen Aufnahme (die Verkleinerung betrug ca. 1:20), dass die Resultate trotzdem als ganz richtige betrachtet werden können, umso mehr, da in dieser Lagerung weder die Symphyse, noch die oberste Spitze des Trochanter major wesentlich ihren Ort bei der Hebung des Beines verlässt. Macht man aber ein Zeichen bei aus

gestrecktem Beine über dem Trochanter, so verlässt diese Marke allerdings seinen Ort, aber nur, weil die Haut verschoben wird, zur Ausmessung soll also jener Punkt benutzt werden, welcher der Ruhelage des Beines entspricht (wenn das Zeichen bei dieser Lagerung angebracht wurde). Nimmt man bei der Aufnahme einen schwarzen Hintergrund und bedeckt gleichzeitig das andere Bein, so erhält man sehr klare Bilder, wie das eine hier reproducirte Aufnahme zeigt (s. beigefügte Figur).

Da aber diese Art der Untersuchung nur über den Zustand der an der Streckseite des Oberschenkels befindlichen Muskeln uns aufklärt, so konnten diese Resultate keinen Aufschluss über den Quadriceps geben. Es gelang aber, auch für diesen Muskel dieselben Verhältnisse nachzuweisen dadurch, dass wir den zu Untersuchenden auf den Bauch legten, den Trochanter major durch einen schwarzen Punkt markirten und nun eine Aufnahme bei gestrecktem Kniegelenke, eine zweite, auf dieselbe Platte, bei möglichst gebeugtem Knie ausführten. Drückt man so den Unterschenkel gegen die Glutei, so erhebt sich oft etwas das Becken und nähert sich dem Fusse. Geschieht dies, dann bekommt man zwei Punkte über einander am Becken, einen dritten zeigt der Malleolus ext. (bei gebeugter Stellung des Unterschenkels) an; diese drei Punkte verbindet man mit dem Kniegelenke, was am Bilde ganz leicht gelingt; so gewinnt man einen Winkel, welcher in zwei verschieden grosse Hälften getheilt ist. Der obere Winkel ergiebt die Grösse der passiven Beugung des Unterschenkels, somit die Dehnbarkeit des Quadriceps.

Auf diese zwei Arten habe ich eine Reihe von Bestimmungen ausgeführt, deren Resultate ich hier tabellarisch mittheile. In den Tabellen bedeutet A den Winkel, der durch die grösstmögliche passive Erhebung der gestreckten unteren Extremität gewonnen wurde, B den Winkel der Beckenbewegung, C die Differenz zwischen und B, also die richtige Dehnbarkeit der Streckmuskeln des Schenkels; a den vollen Winkel bei der Beugung des Unterschenkels, b die Beckenerhebung, c die Differenz, also die Dehnbarkeit des Quadriceps (s. S. 784 u. 785).

Zieht man die Mittelwerthe aus diesen Zahlen, so ergiebt sich in der ersten Reihe 63,9, 31,6°, in der zweiten 53,8°, 32,1°, in der dritten hingegen 79,2° 26,6°. Es besteht also ein recht beträchtlicher Unterschied in der passiven Dehnbarkeit in normalen, hyper- und hypotonischen Zuständen. In der zweiten Reihe sollte man eigentlich den Fall Nr. 7 ausschalten, es scheint, dass hier die spastische Starre nicht als einfache Zunahme des Muskeltonus betrachtet werden kann. Wollte man bei diesem Mädchen das Knie, oder den Oberschenkel beugen, so fand man, selbst bei ganz allmählichem Beginne, eine kaum zu überwindende Resistenz, wenn aber das Gelenk einmal nachgegeben hat, so konnte man mit der grössten Leichtigkeit die Bewegungen sehr rasch ausführen, die Resistenz trat aber sofort ein, wenn man die Bewegungen langsamer machen wollte oder gar einen Moment sie einstellte. Das ist aber etwas ganz Anderes, als man in den wahren Hypertonien sieht. Auch ist es auffallend, dass die Beweglichkeit auf der hemiplegischen Seite grösser ist. Ich muss also diesen Fall von den echten hypertonischen Zuständen ausschliessen. Ferner muss aus

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