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2. Hysterische Anästhesie.

38 jähr. Frau. Schwere Hysterie, Globus, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Stuhlverstopfung (letztere durch hypnotische Suggestion beseitigt). Patellarreflex lebhaft,

bisweilen Dorsalclonus.

Allgemeine Hypalgesie; am Oberkörper r.>l. An den Unterschenkeln wird stumpf und spitz nicht unterschieden; an den Füssen kalt und warm nicht. Oft wird Berührung gar nicht wahrgenommen.

Unterhalb der Knie werden ganz tiefe Nadelstiche ohne Schmerzempfindung ertragen. In Hypnose wird ein Stück Haut vom Unterschenkel entfernt. Pat. hat von der ganzen Procedur nichts gemerkt.

In den Präparaten werden nicht sehr reichliche, aber doch verschiedene feine, gut gefärbte Nervenfasern angetroffen.

3. Functionell-traumatische Anästhesie eines Tabikers.

G., Maurer, 53 Jahr, aufgenommen 8./VII. 1895.

Vor 20 Jahren Schanker und dolenter Bubo.

Seit einem Jahre lancinirende Schmerzen, Gürtelgefühl.

Vor 8 Jahren Unfall. Pat. wurde durch eine Eisenstange auf die r. Kopfseite und r. Schulter geschlagen. Seitdem klagt er über heftige Schmerzen beim Liegen auf der r. Seite.

Trinkt Nordhäuser für ca. 20 Pfennige.

Stat. praes. Pat. bekommt beim Gehen die Füsse nicht recht vom Boden los.
P. 94 p. M. regelmässig.

Romberg 0.

Pupillen r.<l., reactionslos.

Patellarreflexe fehlen, auch bei Jendrassik.
Cremasterreflex, Fusssohlenreflex lebhaft.

Sensibilität an den Unterextremitäten nicht wesentlich gestört.,,Warm" wird an den Fusssohlen als „,lau" bezeichnet.

Motilität erhalten. Motorische Kraft der Beine gut.

Geringe Abflachung der Fossa infraspinata dextra. Die Hebung des rechten Armes ist erschwert; auch ist es dem Pat. sehr schwer, die r. Hand an die 1. Hüfte zu bringen.

Die motorische Kraft des r. Armes ist gegen 1. herabgesetzt.

Der Muskelwulst des Cucullaris ist r. kürzer, dicker, mehr gespannt, druckempfindlich. Dabei steht die 1. Schulter höher.

Die elektrische Untersuchung ergiebt überall normales Verhalten.

Auf dem r. Schulterblatt und zwischen diesem und der Wirbelsäule wird stumpf und spitz nicht unterschieden, Stiche als nicht schmerzhaft bezeichnet. Auch die Wärmeempfindung und die elektrocutane Sensibilität ist daselbst herabgesetzt.

Pat. weint, wenn er auf seinen Unfall und häusliche Misère zu sprechen kommt. Er ist meist sehr gedrückt und wird leicht zornig. (Für den Unfall erhält er etwa 10° Rente.)

13./I. 1896. Gang normal. Der Urin geht mitunter ,,ungedunken" ab. Die Schmerzen in der 1. Schulter sind etwas geringer geworden; die Schwäche des Armes besteht noch. Thermodysästhesie an den Fussspitzen.

Im Juli 1895 entnahm ich dem Pat. eine Hautprobe von der Fossa infraspinata. Die Procedur verursachte nach Angabe des G. keinen Schmerz.

In den Präparaten waren gut entwickelte Nervenfasern zu sehen; ganz

besonders ein reichliches, um eine Schweissdrüse gelagertes Geflecht.1

* Demonstrirt in der Sitzung der Berliner Dermatologischen Vereinigung. Nov. 1895.

Der unzweifelhaft pathologische Befund in Fall I zeigt einen auffallenden Contrast zu den bei II und III sich normal darstellenden Hautnerven verzweigungen, obwohl hier eine viel ausgeprägtere Gefühlsstörung schon sehr lange bestand. Bei diesen Beobachtungen wird also die Diagnose „Anästhesie functioneller Natur" durch die Hautuntersuchung bestätigt.

Es wäre denkbar, dass eine längere Zeit bestehende Neuritis gemischter Nerven unabhängig vom Verhalten der Sensibilität zur Entartung der in die Haut einstrahlenden Fasern führte; es wären dann beispielsweise bei typischer Bleilähmung ohne Anästhesie Veränderungen des Radialishautgebietes zu erwarten. Ich untersuchte das letztere in einem solchen Falle.

4. Bleilähmung.

34 jähriger Rohrleger. Bleisaum der Zähne. Beiderseits typische Extensorenlähmung. Beide Hände in Volarflexion. L. kann die Hand ein wenig erhoben werden, auch der Daumen wird extendirt. R. Extension unmöglich. Complete Entartungsreaction der Extens. digg. und Extens. pollic. Extensor ulnaris 1. faradisch erregbar, r. nicht. Sensibilität nicht gestört. Vom Dorsum der I. Phalanx des r. Zeigefingers wird je ein Hautstück excidirt.

In den Präparaten sind in reichlicher Zahl feine und feinste Fasern zu sehen, welche sich oft bis in das Endkörperchen verfolgen lassen und als normal anzusprechen sind.

5. Herpes zoster (bei Intercostalneuralgie).

Die von Herrn Dr. GAUER geschnittenen Präparate zeigen neben gut gefärbten Fasern auch hellere von fractionirter Schwärzung und leichter Körnung.

Obschon die Frage der peripherischen Neuritiden bei Tabes den Anstoss zu dieser Arbeit gegeben, so kann ich Ihnen leider noch nicht über erfolgreiche Untersuchungen auf diesem Gebiete berichten. Ich hatte bisher nur einmal Gelegenheit, eine Excision vorzunehmen bei einem Falle von

6. Tabes mit allgemeiner Hypalgesie.

Armenpatient aus der Clientel des Herrn Dr. Neumann. Seit Jahren bettlägerig. Der 1. Humerus ist vom Schultergelenke vollkommen gelöst und hängt nur an den Weichtheilen. Pupillenstarre. Westphal'sches Zeichen.

Allgemeine Herabsetzung der Schmerzempfindung.

Ich entnahm eine Hautprobe von einem Oberschenkel. Nachher trat kurze Zeit anhaltende Schmerzempfindung ein.

Viele Präparate zeigten keine Nervenelemente. In einem derselben sieht man eine Reihe paralleler Fasern, die zum Theil schwach gefärbt und am Rande gekörnt sind. Eine kleine versprengte Faser erscheint ganz besonders glasig und lässt feine Zeichnungen erkennen, die an Marktropfen erinnern (Fig. 5). Dicke schwarze Schollen, die die Mitte der Faser einnehmen, sind nicht zu sehen und daher ist die Analogie mit dem, was wir beim durchschnittenen Kaninchennerven gesehen haben, nur eine entfernte.

M. H. Gerade bei solchen Excisionen sind wir von der zufälligen Wahl der Stelle und Art des Schnittes so abhängig, dass nur ein sehr grosses Material zu sicheren Schlüssen führen kann, und ein solches stand mir leider nicht zu

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Gebote. Natürlich ist auch, wo dies angängig, die Controle der Excisionsresultate durch Section und mikroskopische Untersuchung grösserer anästhetischer Hautpartien nebst den zuführenden Nerven vorzunehmen.

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Jedenfalls ist es wünschenswerth, dass die Haut, auf und in welcher sich eine Unzahl nervöser Vorgänge abspielt und die wir klinisch stets untersuchen oder doch ohne es zu wollen mituntersuchen müssen, auch einmal einer pathologisch-anatomischen Analyse im Zusammenhange mit dem Nervensysteme unterzogen wird. Ich möchte also die Methode den mit neurologischem Krankenhausmateriale arbeitenden Herren besonders anempfehlen.

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Fig. 5. Tabes mit Analgesie. Haut vom Oberschenkel. Nervenfasern meist schlecht gefärbt, mit feinen schwarzen Körnern besetzt. (Leitz. Oc. III. Obj. VII.)

Sollte es auch nicht gelingen, die supponirten den geringen Sensibilitätsstörungen der beginnenden Tabes entsprechenden Alterationen der Hautnerven auf diesem Wege nachzuweisen, so glaube ich doch gezeigt zu haben, dass dem Excisionsverfahren ein praktischer Werth zukommt, indem es bei länger bestehender Anästhesie gelegentlich zur Differentialdiagnose zwischen functioneller und peripher-neuritischer Aetiologie derselben herangezogen wird.

Ausser den erwähnten Herren Collegen, sage ich auch Herrn Geh. Medicinalrat Dr. LEWIN und Herrn Generalarzt Prof. Dr. BURCHARDT für Ueberlassung des Laboratoriums der Syphilisklinik meinen besten Dank.

2. Ueber angeborene Muskeldefecte.

[Nach einer Krankenvorstellung in der Novembersitzung der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten.]

Von Dr. S. Kalischer, Arzt für Nervenkrankheiten.

(Schluss.)

Die beschriebenen Muskeldefecte betreffen bald den gesammten Pectoralis major und minor (ca. 16 Fälle), bald nur einen Muskel oder nur Theile des grossen Brustmuskels (45 Fälle). Die Pars sternocostalis allein ist ca. in 14 Fällen betroffen, meist fehlt dann auch der überhaupt nicht constante abdominale Ansatz des Muskels. Die Pars clavicularis allein ist nur in 5 Fällen defect, während der Pectoralis minor allein noch seltener (in 3 Fällen) fehlt. In 22 Fällen fehlen zugleich der Pect. minor und die Pars sternocostalis des major. Die häufig erhaltene Pars clavicularis ist in einigen Fällen hypertrophisch bei fehlender Pars sternocastalis. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist der Defect einseitig, 27 Mal rechts, 17 Mal links; in 4 Fällen sind beiderseitige angeborene Defecte beschrieben. In einer Reihe von Fällen sind auch andere Muskeln gleichzeitig atrophisch oder mangelhaft entwickelt, bezw. gänzlich fehlend, so am häufigsten in ca. 11 Fällen Theile des Serratus anticus major, mehrfach auch Theile des Latissimus dorsi, des Cucullaris, der Rhomboidei, der Supraund Infraspinali u. s. w.; in 2 Fällen fehlten einzelne Intercostalmuskeln, in einem der acromiale Theil des Deltoideus, in je einem anderen der Subclavius, der kurze Kopf des Biceps, der Palmaris longus, der radiale Kopf des M. flexor digitorum sublimis, und endlich in einem Falle die Muskeln des Daumens und Kleinfingerballens. Oft steht bei einseitigem Defecte die Schulter abnorm, und zwar meist, wie in unserem Falle auf der afficirten Seite höher, weil durch den Defect die herabziehende Wirkung des Schulterblattes, bezw. Humeruskopfes fortfällt und die tonische Kraft des oberen und mittleren Drittels des Cucullaris den Schulterstumpf hebt, und zwar um so mehr, je älter die Störung ist. Auch sind Verkrümmungen und Deviationen der Wirbelsäule durch antagonistische Verkürzungen und secundäre Contracturen beobachtet, und zwar meist in 6 Fällen Scoliose der Brustwirbel nach der Seite des Defects, jedoch auch 3 Mal nach der entgegengesetzten Seite. In Folge der Inanspruchnahme synergetisch und compensatorisch wirkender Muskeln kann es zur Hypertrophie der letzteren kommen; so war in 8 Fällen von alleinigem Defecte der Pars sternocostalis des Pect. major die Pars clavicularis stärker entwickelt; in vereinzelten Fällen waren hypertrophisch der Cucullaris (3 Mal), der Serratus (2 Mal), der Latissimus dorsi, der Subclavius, der Teres major, der Coracobrachialis und endlich in ca. 8 Fällen der M. deltoideus in seinem Claviculartheile. Letzterer nimmt übrigens nie an dem angeborenen Defecte Theil, obwohl er ebenso, wie der M. pectoralis vom N. thoracicus anterior versorgt wird. In unserem Falle fehlten auffallende secundäre Veränderungen (bis auf die geringe Scoliose und Schultererhöhung) wohl wegen des jugendlichen Alters, in welchem erhebliche und

andauernde Muskelanstrengungen und Zugwirkungen nicht so sehr in Betracht kommen. Auffallend war in der Mehrzahl der beschriebenen Fälle der Mangel der Beweglichkeitsbeschränkung und der Functionsstörung1 trotz des völligen Schwundes der Brustmuskeln; einige der damit behafteten Individuen waren sogar gute Fechter, Schwimmer, Turner, Lastträger, - eine Thatsache, die wohl ihre Erklärung in der Ersatzwirkung anderer Muskeln findet (DUCHENNE2); SO hat z. B. die Clavicularportion des Deltoideus eine ähnliche Wirkung wie die Clavicular portion des Pect. major; der sternocostale Theil wird in gewissem Maasse durch die untere Partie des Latissimus dorsi ersetzt. Auch können der Teres major und die Rhomboidei bei gemeinschaftlicher Function die Wirkung der Brustmuskeln zum Theil ausüben. Noch andere, an dem Schultergürtel sich inserirende Muskeln, wie der Cucullaris, Supra- und Infraspinatus, Subscapularis, Theile des Triceps und Biceps brachii, können in geeigneter Combination die Muskelwirkung des Pectoralis ersetzen, der namentlich bei solchen Bewegungen in Betracht kommt, wie Lasten tragen, Zuhauen beim Fechten, Segnen des Priesters, Berühren der Handflächen beim Schwimmen; und zwar bewirkt die Clavicular portion, besonders das Anpressen des Oberarmes und Ellbogens an die Thoraxwand, die Bewegung des Schulterstumpfes schief nach oben und vorn (wie beim Tragen von Lasten), das Heben des herabhängenden Ellbogens nach innen, die Senkung und Innendrehung des senkrecht erhobenen Armes; während die sternocostale Portion bei dem Anlegen des Armes an den Rumpf den Schulterstumpf nach abwärts zieht, den erhobenen Arm noch unter die Horizontale senkt, und den Humeruskopf kräftig nach abwärts zieht und ihn von der Gelenkhöhle des Schulterblattes entfernt. Die Kreuzung der Arme und das Legen der Hand auf die andere Schulter wird vom vorderen inneren Bündel des Deltoideus besorgt, da der Pectoralis dazu den Ellbogen nicht hoch genug hebt. In einem Falle von OVERWEG konnte ein Recrut mit rechtsseitigem Defecte der Brustmuskeln alle Bewegungen kräftig ausüben; nur brachte er keinen Klimmzug fertig, und ferner konnte er den Gewehrkolben beim Zielen nicht fest an die Schulter anstemmen, bezw. „,einziehen", wodurch ein sicheres Zielen und Schiessen kaum möglich war. In diesem Falle war eine Dienstuntauglichkeit vorhanden.

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Ueber die Natur und Ursache der hier beschriebenen und zum grössten Theil sicher angeborenen Muskeldefecte stimmen die Ansichten der Autoren nicht überein. Es erscheint zweifelhaft, ob diese Muskeldefecte auf eine einfache, von den Centralorganen des Nervensystems unabhängige, periphere fehlerhafte Anlage und Aplasie des Muskels zurückzuführen sind, oder ob hier eine neurogene Entstehung, eine Aplasie oder Atrophie der trophischen spinalen Centren, ein Kern

1 Von practischer Wichtigkeit ist die Frage, ob Leute mit angeborenem Pectoralisdefect aus diesem Grunde vom Militärdienste befreit werden sollen, eine Frage, die STINTZING bejaht, andere verneinen. Es muss hier wohl jeder einzelne Fall individuell beurtheilt werden, wie es auch OVERWEG hervorhebt; auch ist der Zustand der übrigen Muskeln zu berücksichtigen.

* DUCHENNE: Die Physiologie der Bewegungen. WERNICKE. 1885.

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