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petaler Richtung leiten. Das gilt zweifellos für die Mehrzahl, jedoch nicht für alle Fälle; wenigstens wäre nach der Anerkennung dieser Behauptung die Bedeutung der Verkettung der Dendriten mit einander, wie wir es z. B. in der vorderen Rückenmarkscommissur, besonders bei niederen Thieren, vorfinden, unserem Verständniss durchaus entrückt. Ebenso wäre uns die Uebermittelung der Impulse durch die apolaren, nur mit Dendriten versehenen Zellen unverständlich, wenn wir den Gedanken festhielten, dass die Dendriten nur centripetal, oder richtiger cellulopetal leiten. Meiner Ansicht nach müssen der Zellkörper und die Dendriten, welche dessen unmittelbare Ausläufer darstellen und sich von demselben weder durch das äussere Aussehen noch durch den Bau wesentlich unterscheiden, sowohl in dieser wie in jener Richtung leiten können. Mit Evidenz ergiebt sich eine solche Leitung in verschiedenen Richtungen für den Zellkörper schon aus dem Umstande, dass die Dendriten der apolaren Zellen (z. B. im Riechlappen) nach verschieden Seiten und nicht nur nach einer bestimmten Seite hin austreten.

(Schluss folgt.)

2. Zur Frage der forensischen Beurtheilung sexueller

Vergehen.1

Von Dr. A. Hoche,

Privatdocenten und erstem Assistenten der psychiatrischen Klinik zu Strassburg i./E.

Den Ausgangspunkt für einige Bemerkungen zur Frage der forensischen Beurtheilung sexueller Vergehen möge die kurze Mittheilung eines Falles von „Exhibitionismus" bilden, der in der Strassburger psychiatrischen Klinik zum Zwecke der Begutachtung durch Herrn Prof. FÜRSTNER 6 Wochen lang beobachtet worden ist.

In den Jahren 1892 und 1893 wurde hier lange vergeblich auf ein Individuum gefahndet, welches durch immer wiederholte exhibitionistische Acte nach und nach der Schrecken der weiblichen Bevölkerung der besseren Stadttheile geworden war. Die einzelnen Vorgänge spielten sich in fast übereinstimmender Weise ab: Einzelnen Damen oder Gruppen von solchen, die ohne Herrenbegleitung waren, stellte sich Abends auf der Strasse der Betreffende entgegen, schlug seinen langen Mantel auseinander, oft gerade bei einer Laterne, und präsentirte sich darunter im Wesentlichen nackt, d. h. in hohen Stiefeln und spärlicher Bekleidung des Oberkörpers, jedenfalls mit nackten Genitalien, lautlos, und ohne im Uebrigen aggressiv zu werden.

Schnee und schneidende Kälte hinderten den Betreffenden nicht; es kam auch vor, dass er seinen so entblössten Unterleib mit bengalischen Zündhölzern farbig beleuchtete.

Ein anderer Modus war der, dass er ganz früh Morgens an Wohnungen klingelte und sich dem öffnenden Dienstmädchen mit nacktem Leibe zeigte, oder am Fenster befindlichen weiblichen Wesen von der Strasse aus seinen entblössten Anblick darbot.

1 Nach einem auf der XXVII. Versammlung des südwestdeutschen psychiatrischen Vereins in Karlsruhe am 9. November 1895 gehaltenen Vortrage.

Bei einer derartigen morgendlichen Unternehmung wurde er, nach energischem Fluchtversuche verhaftet und als Dr. X. erkannt, der gerade im Staatsexamen stand. Die Voruntersuchung führte zur Einweisung in die Klinik.

Es ergab sich hier kurz Folgendes:

Die nachweisliche directe erbliche Belastung war mässig. Von früher Kindheit an hatte angeblich ein lebhafter Geschlechtstrieb bestanden, der zu früh begonnener Onanie, später zu normal-sexuellen Excessen führte; X. hatte Lues acquirirt, zahlreiche,,Verhältnisse", auch mehrere gleichzeitig, gehabt; mit einem derselben, von der er ein Kind hatte, lebte er zusammen (die Betreffende wusste nichts von dem Charakter der häufigen Excursionen des X.).

X. war Jahre vorher in einer anderen Universitätsstadt wegen des gleichen Delictes verurtheilt, soviel mir bekannt, aber begnadigt worden.

Für die fraglichen Delicte bestand kein Erinnerungsdefect; es wurde auch von X. nicht versucht, einen solchen zu simuliren.

Zur Erklärung gab X. auf wiederholtes Drängen nur als Motiv an, dass ibn eben ein,,unwiderstehlicher Trieb" gezwungen habe, so zu handeln, wie er gethan, dass ihn jedoch dabei das Bewusstsein, eine schimpfliche und strafbare Handlung zu begehen, nicht verlassen habe.

Die Untersuchung und Beobachtung liess das Bestehen von Epilepsie, von einer Geistesstörung im engeren Sinne überhaupt ausschliessen; X. war wohl als eine weichliche, schlaffe Natur, aber nicht als ,,schwachsinnig" zu bezeichnen.

Für das Vorhandensein eines durch Nachgiebigkeit gegen sich selbst und entsprechende Phantasierichtung genährten lebhaften Geschlechtstriebes fanden sich dagegen Anhaltspunkte in Gestalt obscöner Gedichte und Bilder, die zum Theil für weibliche Adressen bestimmt gewesen waren.

Die klinische Beobachtung ergab keine Momente, die erlaubt hätten, den Angeklagten unter den Schutz des § 51 zu stellen, und in der Hauptverhandlung wurde X. trotz der Bemühungen, die die Vertheidigung aufgewandt hatte, irgendwoher ein dem X. günstiges Gutachten zu gewinnen, wegen Erregung öffentlichen Aergernisses (§ 183) zu einem Jahre Gefängniss verurteilt.

Es sei hier gleich hinzugefügt, dass sich bei X. im Gefängnisse nichts von abnormen,,Trieben" gezeigt hat, und dass er nach Verbüssung der Strafe geheirathet hat.

,,Exhibitionismus" wird in der vorhandenen Litteratur im Allgemeinen als ein Symptom angeborener oder erworbener psychischer Schwächezustände angesehen; es ist wohl diejenige Form unter den häufigeren sexuellperversen Handlungen, die zumeist vorweg die Vermuthung erweckt, dass der Thäter ein psychisch krankes Individuum sei; die mitgetheilte Beobachtung erweist, wie vorsichtig man mit dieser Annahme zu sein hat, und kann als eine heute wieder nicht ganz überflüssige Mahnung dienen, allein aus der äusseren Form eines Vergehens, und sei dasselbe noch so seltsam, keine Schlüsse auf den Geisteszustand des Thäters in forensischer Hinsicht zu ziehen.

Es ist bei eingehender Analyse dieses Falles und ähnlich liegender nicht einmal schwer, sich eine Vorstellung von dem psychologischen Hergang bei dem Zustandekommen der strafbaren Handlungen zu machen. Den Boden für diese und viele andere perverse sexuelle Handlungen schafft der bei geschlechtlich übersättigten Individuen nicht seltene ,,Reizhunger", d. h. das Bedürfniss nach neuen Nuancen bei der sexuellen Befriedigung, welches namentlich bei alten Onanisten erfahrungsgemäss gelegentlich zu ganz complicirten Praktiken führt. Mutatis mutandis findet dies Bedürfniss nach progressiver Steigerung des Reizes

eine Analogie in dem gleichen Vorgange beim chronischen Alcoholismus oder Morphinismus; nur dass für die Geschlechtssphäre die Reizsteigerung nicht auf quantitativem, sondern auf qualitativem Wege gesucht wird.

In Folge der lange Zeit hindurch und auf mancherlei Art betriebenen Onanie ist bei derartigen Individuen die Vorstellung der sexuellen Lust längst nicht mehr allein an die Vorstellung des normalen Verkehrs gebunden, und es kann von irgend einem Erlebnisse, vom Zufalle abhängen, welche vielleicht ungewöhnliche Art der Befriedigung dem Individuum reizvoll erscheint; es handelt sich dann um eine verfeinerte Sorte von Onanie. Selbst das scheinbar unverständliche Bestreben, wie in obigem Falle, durch Entblössung der eigenen Genitalien vor dem anderen Geschlechte Lust zu suchen, kann dem Verständnisse näher gebracht werden. Bekanntlich ist die Vorstellung von dem sexuellen Empfinden der Partnerin nicht gleichgültig beim Sexualacte (Klagen von Ehemännern über die „Kälte“ der Frauen!); die Speculation nun auf das Auftreten sexueller Empfindungen bei dem vis à vis, die schon als Idee, ohne dass der Effect wirklich erreicht zu werden braucht, den Exhibitionisten lockt, liegt als vielleicht nicht einmal klar bewusste Triebfeder den betreffenden Acten zu Grunde. Bei dem Dr. X. sprach für diesen Entstehungsmodus eine in der Verhandlung zur Sprache kommende Thatsache, dass X. sich den Dienstmädchen eines Hauses, die nicht erschreckt, sondern erfreut über seinen Anblick schienen, zu wiederholten Malen gezeigt hat.

Bei X. war es der gleiche Vorgang, wenn er mit obscönen Gedichten und Bildern auf weibliche Phantasie zu wirken suchte; die Absicht, nun gerade diese oder jene Persönlichkeit direct zu verführen", braucht dabei keineswegs zu bestehen.

Um solche Anwandlungen zur That werden zu lassen, gehört natürlich noch ein Weiteres dazu: ungewöhnliche Stärke des Triebes und Wegfall gewohnter Hemmungen. Beides trifft oft zu bei Schwachsinnigen; dass aber auch ohne nachweisliche psychische Erkrankung, auf dem Boden lange fortgesetzter sexueller Excesse solche Delicte erwachsen, dafür ist obiger Fall ein Beispiel. Der Einfluss,,hereditarer Disposition", der von dem von der Vertheidigung geladenen Gutachter zu Gunsten des Angeklagten herangezogen wurde, kann gewiss in Betracht kommen für die Schätzung der Widerstandskraft des Thäters gegenüber seinen Impulsen; er ist aber praktisch-forensisch bedeutungslos, wenn sich die „,hereditare Disposition" nicht in nachweisbaren psychischen Symptomen kund thut. Aus der Thatsache allein, dass Jemand einem Antriebe unterliegt, kann dessen „Unwiderstehlichkeit" nicht gefolgert werden. Ich gebe zu, dass die Beurtheilung von Triebhandlungen überhaupt in foro zu den schwierigsten Aufgaben gehört.

Die mitgetheilte Beobachtung war nun indirect noch in anderer Hinsicht lehrreich; die Richtung, in der sich, während das Verfahren gegen Dr. X. spielte, die öffentliche, nicht etwa nur von Laien, sondern fast allgemein von Aerzten getheilte Meinung bewegte, dass X. selbstverständlich zu exculpiren sei, die Auffassung, die von Seiten der Vertheidigung entwickelt wurde, dass nämlich die

exhibitionistischen Acte des X. die ihm eben zufällig adäquate Art der sexuellen Befriedigung seien, auf die er gewissermaassen ein gutes Anrecht habe

waren ein Beleg für die eigenthümliche Verschiebung des Standpunktes, die sich in letzter Zeit, unter dem in diesem Umfange wohl nicht gewollten Einflusse bestimmter litterarischer Producte in der Beurtheilung sexueller Vergehen, im weitesten Sinne, vollzieht.

Seltener wird dies in praxi kenntlich bei denjenigen Straf bestimmungen, unter welche die Delicte des Dr. X. fielen (§ 183, Erregung öffentlichen Aergernisses); der concentrische Angriff der modernsten Litteratur richtet sich gegen den „Unzuchtparagraphen" § 175.,,Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts, oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniss zu bestrafen.")

Der Vorkämpfer in dieser Bewegung ist bekanntlich seit längerer Zeit schon V. KRAFFT-EBING, der 1894 in einer besonderen Broschüre1 alle Argumente, die gegen den § 175 in's Feld geführt werden, zusammengestellt hat, und Vorschläge macht für Neuformulirung der fraglichen Strafbestimmungen (im österreichischen und deutschen Strafrecht). Die Broschüre ist rasch, in vergrösserter Gestalt, unter Beifügung einer Abhandlung über die Aetiologie der conträren Sexualempfindung in zweiter Auflage erschienen.

Ich werde mich in Folgendem in erster Linie an die von v. KRAFFT-EBING gegebene Argumentation halten, da sie am umfassendsten ist; in gleichem oder ähnlichem Sinne bewegen sich die fraglichen Erwägungen bei MOLL2 und EULENBURG3 um die Hauptvertreter zu nennen; verschiedene kleine Winkelbroschüren, denen mit namentlicher Erwähnung zu viel Ehre angethan würde, mögen ausser Discussion bleiben.

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V. SCHRENCK-NOTZING, der in der Sexualfrage auch mit einer Monographie vertreten ist, geht in seinen Schlussfolgerungen in forensischer Hinsicht nicht überall den Genannten parallel.

Die Gründe, die für eine Abschaffung bezw. Umänderung des § 175 in's Feld geführt werden, sind im Wesentlichen folgende:

Die Strafbestimmungen basiren auf Irrthümern, stehen mit der wissenschaftlichen Wahrheit und der Humanität in Widerspruch, nützen wenig, schaden viel. Sie treffen weit häufiger, als man annimmt, unschuldige, d. h. kranke Menschen, die,,Conträrsexualen". Die in § 175 mit Strafe bedrohten ,,beischlafähnlichen Handlungen" (exclusive Päderastie) werden ausnahmslos" von kranken Individuen begangen. Conträrsexuale päderastiren höchst selten. Conträrsexuale begehen die fraglichen Delicte in einem „,Nothstande", aus „,krankhafter Nöthigung", unter einem unwiderstehlichen Zwange.

1 Der Conträrsexuale vor dem Strafrichter. 1894. 2. Aufl. 1895.

2 Die conträre Sexualempfindung. Berlin 1892. 2. Aufl.

3 Sexuale Neuropathie. Leipzig 1895. S. 137 ff.

* Die Suggestionstherapie bei krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinnes. Stuttgart 1892.

Die Strafe ändert diese Individuen nicht, dagegen sind dieselben, selbst im Falle der Freisprechung, schon durch die Eröffnung des Verfahrens social ruinirt.

Ein Unterlassen der Delicte ist nur möglich,,um den Preis körperlichen und seelischen Siechthums unter oder durch Automasturbation".

In summa: § 175 stellt einen Anachronismus dar gegenüber neu gewonnenen ärztlichen Anschauungen.

Zu dieser ganzen Frage haben nun bisher in der allgemein zugänglichen Litteratur, mit einigen wenigen Ausnahmen, nur zustimmende Autoren das Wort ergriffen; aus dem Schweigen anderer darf keineswegs ohne Weiteres Zustimmung erschlossen werden; ein Hauptgrund ist eben, dass es nicht Jedermanns Sache ist, in die delicate Discussion der sexuellen Fragen einzutreten, obgleich doch durch die neuere Sexuallitteratur das Eis gründlichst gebrochen ist!

Diese Zurückhaltung divergirender Anschauungen erscheint jetzt nicht. mehr am Platze, da die Strafrechtslehre, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die erwähnte Broschüre von v. KRAFFT-EBING, die Reform des § 175 wieder zu discutiren beginnt (vergl. v. LISZT, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 1894. 6. Aufl. S. 352).

Ich will in Folgendem eine Reihe von Gesichtspunkten zu fixiren versuchen, die bei den oben genannten Autoren keine genügende Berücksichtigung gefunden haben, und von denen aus die ärztliche Stellung zum § 175 eine ganz andere erscheint, als im Lichte jener Auffassung.

Die rein juristischen Erwägungen, wie z. B. die, dass § 175 die gröbsten Ausschreitungen zwischen Mann und Weib straflos lasse, dass durch die unter Strafandrohung gestellten Delicte bei gegenseitigem Einverständnisse kein Eingriff in die Rechte Dritter geschehe u. s. w., dass, Alles in Allem, § 175 gestrichen werden könne, sind nicht Gegenstand ärztlicher Discusion; unsere Frage hat nur zu lauten: Liegen neue wissenschaftliche Erfahrungen vor, die es den Aerzten zur Pflicht machen, auf eine Beseitigung des § 175 hinzuarbeiten?

Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.

Für die sexuellen Delicte Maniakalischer, Epileptischer, Schwachsinniger u. s. w. zweifelt Niemand daran, dass der § 51 des St.G.B. eine genügende Handhabe bietet, um die kranken Individuen unverdienter Strafe zu entziehen, und für die „Conträrsexualen", die „Urninge", um deren Ehrenrettung und Beglückung es sich bei dem Angriffe auf § 175 in erster Linie handelt, ist es nicht schwer, die in's Feld geführten Argumente als hinfällig zu erweisen.

Zunächst unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass die Schätzungen der Häufigkeit des Vorkommens der echten conträren Sexualempfindung ganz beträchtlich zu hoch greifen, dass somit die ganze Frage keine so drängende ist, wie dies dargestellt wird.

Es darf nie vergessen werden, dass es wieder und immer wieder nur die eigenen Angaben der betreffenden Individuen sind, auf welche die Diagnose sich stützt, dass wir also allen Grund haben, die Glaubwürdigkeit der fraglichen Persönlichkeiten genau unter die Lupe zu nehmen.

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