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vernehmen könnten, und diese Scham verwandelte sich bei ihr in Argwohn gegen die Nachbarn.

Die Stimmen verdankten also ihre Entstehung der Verdrängung von Gedanken, die in letzter Auflösung eigentlich Vorwürfe anlässlich eines dem Kindertrauma analogen Erlebnisses bedeuteten; sie waren demnach Symptome der Wiederkehr des Verdrängten, aber gleichzeitig Folgen eines Compromisses zwischen Widerstand des Ich und Macht des Wiederkehrenden, der in diesem Falle eine Entstellung bis zur Unkenntlichkeit herbeigeführt hatte. In anderen Fällen, in denen ich Stimmen bei Frau P. zu analysiren Gelegenheit hatte, war die Entstellung minder gross; doch hatten die gehörten Worte immer einen Charakter von diplomatischer Unbestimmtheit; die kränkende Anspielung war meist tief versteckt, der Zusammenhang der einzelnen Sätze durch fremdartigen Ausdruck, ungewöhnliche Sprachformen u. dergl. verkleidet: Charaktere, die den Gehörshallucinationen der Paranoiker allgemein eigen sind, und in denen ich die Spur der Compromissentstellung erblicke. Die Rede: „Da geht die Frau P., sie sucht Wohnung in der Strasse", bedeutete z. B. die Drohung, dass sie nie genesen werde, denn ich hatte ihr zugesagt, dass sie nach der Behandlung im Stande sein werde, in die kleine Stadt, wo ihr Mann beschäftigt war, zurückzukehren; sie hatte für einige Monate in Wien provisorisch Wohnung gemiethet.

In einzelnen Fällen vernahm Frau P. auch deutlichere Drohungen, z. B. in Betreff der Verwandten ihres Mannes, deren zurückhaltender Ausdruck aber immer noch mit der Qual contrastirte, welche ihr solche Stimmen bereiteten. Nach dem, was man sonst von Paranoikern weiss, bin ich geneigt, ein allmähliches Erlahmen jenes die Vorwürfe abschwächenden Widerstandes anzunehmen, so dass endlich die Abwehr voll misslingt, und der ursprüngliche Vorwurf, das Schimpfwort, welches man sich ersparen wollte, in unveränderter Form zurückkehrt. Indess weiss ich nicht, ob dies ein constanter Ablauf ist, ob die Censur der Vorwurfsreden nicht von Anfang an ausbleiben oder bis zum Ende ausharren kann.

Es erübrigt mir nur noch, die an diesem Falle von Paranoia gewonnenen Aufklärungen für eine Vergleichung der Paranoia mit der Zwangsneurose zu verwerthen. Die Verdrängung als Kern des psychischen Mechanismus ist hier wie dort nachgewiesen, das Verdrängte ist in beiden Fällen ein sexuelles Kindererlebniss. Jeder Zwang rührt auch bei dieser Paranoia von Verdrängung her; die Symptome der Paranoia lassen eine ähnliche Classificirung zu, wie sie sich für die Zwangsneurose als berechtigt erwiesen hat. Ein Theil der Symptome entspringt wieder der primären Abwehr, nämlich alle Wahnideen des Misstrauens, Argwohns, der Verfolgung durch Andere. Bei der Zwangsneurose ist der initiale Vorwurf verdrängt worden durch die Bildung des primären Abwehrsymptoms: Selbstmisstrauen. Dabei ist der Vorwurf als berechtigt anerkannt worden und zur Ausgleichung schützt nun die Geltung, welche sich die Gewissenhaftigkeit im gesunden Intervall erworben hat, davor, dem als Zwangsvorstellung wiederkehrenden Vorwurf Glauben zu schenken. Bei Paranoia wird der Vorwurf auf einem Wege, den man als Projection bezeichnen kann, verdrängt, indem das

Abwehrsymptom des Misstrauens gegen Andere errichtet wird; dabei wird dem Vorwurfe die Anerkennung entzogen, und wie zur Vergeltung fehlt es dann an einem Schutze gegen die in den Wahnideen wiederkehrenden Vorwürfe.

Andere Symptome meines Falles von Paranoia sind als Symptome der Wiederkehr des Verdrängten zu bezeichnen und tragen auch, wie die der Zwangsneurose, die Spuren des Compromisses an sich, der ihnen allein den Eintritt in's Bewusstsein gestattet. So die Wahnidee, beim Auskleiden beobachtet zu werden, die visuellen, die Empfindungshallucinationen und das Stimmenhören. Nahezu unveränderter, nur durch Auslassung unbestimmt gewordener Erinnerungsinhalt findet sich in der erwähnten Wahnidee vor. Die Wiederkehr des Verdrängten in visuellen Bildern nähert sich eher dem Charakter der Hysterie als dem der Zwangsneurose, doch pflegt die Hysterie ihre Erinnerungssymbole ohne Modification zu wiederholen, während die paranoische Erinnerungshallucination eine Entstellung erfährt, wie sie der Zwangsneurose zukommt; ein analoges modernes Bild setzt sich an die Stelle des verdrängten (Schoss einer erwachsenen Frau anstatt eines Kindes; daran sogar die Behaarung besonders deutlich, weil diese dem ursprünglichen Eindrucke fehlte). Ganz der Paranoia eigenthümlich und in dieser Vergleichung weiter nicht zu beleuchten ist der Umstand, dass die verdrängten Vorwürfe als lautgewordene Gedanken wiederkehren, wobei sie sich eine zweifache Entstellung gefallen lassen müssen, eine Censur, die zur Ersetzung durch andere associirte Gedanken oder zur Verhüllung durch unbestimmte Ausdrucksweise führt, und die Beziehung auf moderne, den alten bloss analoge Erlebnisse.

Die dritte Gruppe der bei Zwangsneurose gefundenen Symptome, die Symptome der secundären Abwehr, kann bei der Paranoia nicht als solche vorhanden sein, da sich gegen die wiederkehrenden Symptome, die ja Glauben finden, keine Abwehr geltend macht. Zum Ersatze hierfür findet sich bei Paranoia eine andere Quelle für Symptombildung; die durch das Compromiss in's Bewusstsein gelangten Wahnideen (Symptome der Wiederkehr) stellen Anforderungen an die Denkarbeit des Ich, bis dass sie widerspruchsfrei angenommen werden können. Da sie selbst unbeeinflussbar wird, muss das Ich sich ihnen anpassen, und somit entspricht den Symptomen der secundären Abwehr bei der Zwangsneurose hier die combinatorische Wahnbildung, der Deutungswahn, der in die Ich veränderung ausläuft. Mein Fall war in dieser Hinsicht unvollständig; er zeigte damals noch nichts von Deutungsversuchen, die sich erst später einstellten. Ich zweifle aber nicht daran, dass man noch ein wichtiges Resultat wird feststellen können, wenn man die Psychoanalyse auch auf dieses Stadium der Paranoia anwendet. Es dürfte sich ergeben, dass auch die sog. Erinnerungsschwäche der Paranoiker eine tendenziöse, d. h. auf Verdrängung beruhende und ihren Absichten dienende ist. Es werden nachträglich jene gar nicht pathogenen Erinnerungen verdrängt und ersetzt, die mit der Ichveränderung in Widerspruch stehen, welche die Symptome der Wiederkehr gebieterisch erfordern.

2. Notiz, die Schleife" betreffend.

Von Prof. P. Flechsig.

In der soeben erschienenen 2. Auflage meiner Rede über „Gehirn und Seele" finden sich auf dem Hirnschema Tafel V, linke Hälfte (e gelb), einige Ungenauigkeiten in Bezug auf den ,,Haupttheil" der Schleifenschicht. Ich möchte im Hinblick hierauf bemerken, dass ich die kurzen Notizen besagter Schrift über die fraglichen Leitungen keineswegs für irgend wie erschöpfend hinstellen möchte. Ich bin im Begriff, in den Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften eine ausführliche Darstellung der Schleifenschicht zu veröffentlichen mit zahlreichen Abbildungen, welche hoffentlich im Verlauf etwa eines Monats fertiggestellt sein werden. Ich werde da auf Grund neuer Untersuchungen zeigen, dass alle bisherigen Darstellungen des Verhaltens der Schleife zu den Grosshirnganglien, insbesondere zum Thalamus opticus, mehr oder weniger lückenhaft sind. Die zuerst von mir, später von HÖSEL und mir hervorgehobene Thatsache, dass der Haupttheil der Schleife mit der hinteren Centralwindung in ausgiebigste Verbindung tritt, ist ja wohl jetzt allgemein anerkannt und als feststehend zu betrachten; nur über die Frage des Wie, ob direct oder indirect, herrschen Controversen. Die Wahrheit scheint mir in der Mitte zu liegen. Ein Theil der Schleife endet wahrscheinlich im Thalamus und zwar nach Durchquerung des Centre médian nur im hinteren Theil des lateralen Kerns, wo ich die Auflösung einzelner Fasern in Endbäumchen direct gesehen habe. Die Ganglienzellen dieser Sehhügelregion hängen zweifellos mit der hinteren Centralwindung zusammen; denn sie degeneriren bei Verletzung der hinteren Centralwindung (eigene Beobachtung). Ich glaube aber durch neue Befunde am Foetus auch sicherer als bisher nachweisen zu können, dass ein anderer Theil (insbesondere später entstehende Fasern der lateralen Bündel der Hauptschleife) durch den Thalamus direct zur inneren Kapsel zieht, wie es auf Tafel V (f gelb, rechts) meiner Schrift dargestellt ist. Ohne genaue Abbildungen lässt sich dies unmöglich überzeugend darlegen; ich möchte also diejenigen, welche sich für die Frage interessiren, auf meine Publication in den Abhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften verweisen, welche unter dem Titel „Die Leitungsbahnen der Körperfühlsphäre des menschlichen Gehirns" erscheinen wird, wo ich übrigens auch die Frage nach der functionellen Bedeutung der Schleife behandle, welche, wie mir scheint, bisher viel zu einseitig, d. h. ohne Rücksicht auf das Vorhandensein mehrfacher Leitungen für den Muskelsinn u. s. w., in Angriff genommen worden ist.

3. Ein Fall von Morvan'scher Krankheit.'

[Aus der Poliklinik des Herrn Prof. Dr. MENDEL.]

Von Dr. Max Bielschowsky, Assistenzarzt an der Poliklinik u. am Laboratorium.

Das Krankheitsbild, welches MORVAN im Jahre 1883 als Parésie analgésique à panaris des extrémités supérieurs ou paréso-analgésie des extrémités sup. beschrieb, ist der Gegenstand einer grossen Reihe klinischer und anatomischer Arbeiten gewesen und gehört jetzt trotz seines geringen Alters zu den gut gekannten neuropathischen Affectionen. Wenn in folgenden Zeilen ein neuer Fall dieser Krankheit mitgetheilt wird, so möge als Rechtfertigung dafür die Vielseitigkeit der Erscheinungen dienen, welche derselbe bietet.

Die Krankengeschichte ist im wesentlichen folgende:

Die Patientin Frau A. K. ist 40 Jahre alt. Sie ist seit 8 Jahren verheirathet und hat zwei Partus und einen Abort in der Mitte der Schwangerschaft durchgemacht. Neuropathische Belastung ist nicht nachweisbar; für Lues lassen sich keine sicheren Anhaltspunkte gewinnen.

Bis vor etwa 6 Jahren, wo ihr jetziges Leiden begann, war sie niemals erheblich krank. Ohne jede äussere Verletzung, und ohne dass je die geringsten Schmerzen auftraten, entwickelten sich damals tiefe Schrunden an der Volarseite des Mittelfingers der linken Hand, die sehr langsam heilten.

Im nächsten Jahre zeigten sich am 2., 3. und 4. Finger der linken Hand vollkommen schmerzlose,,Geschwüre", wohl Panaritien, welche zu einem vollkommenen Verlust der Endphalangen an ihnen führten. Gleichzeitig merkte die Patientin, dass die Haut der linken Hand und des linken Armes, wie sie sagt, gefühllos wurde, dass Verletzungen und Verbrennungen ihr keine Schmerzen verursachten. So wurde sie eine Hautabschürfung an der linken Schulter, von der eine grosse flache Narbe herrührt, erst zufällig 2 Tage nach der Verletzung gewahr. Ferner schwoll damals das linke Handgelenk an, was die Beweglichkeit der Hand sehr beeinträchtigte. Seit etwa 9 Monaten entwickelten sich ähnliche Erscheinungen, wie sie zuerst an der linken Hand aufgetreten waren, auch an der rechten: die Haut an ihrer volaren Fläche und an derjenigen der Finger wurde stellenweise schwielig, und auf den Schwielen bildeten sich Risse und Schrunden. Gleichzeitig machte sich der Pat. auch hier eine Herabsetzung der Empfindung gegen Verwundungen und Verbrennungen bemerkbar. Im Laufe der beiden letzten Jahre trat ferner eine Schwäche in beiden Armen auf, und die Pat. bemerkte, dass sie, während sie früher eine gerade Haltung hatte, allmählich schief wurde, und die linke Schulter hängen liess. Vor ca. 8 Wochen trat schliesslich noch während einer Nacht eine starke Schwellung in beiden Schultergelenken auf, welche zwar rasch zurückging, aber eine andauernde starke Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Arme in diesen Gelenken zur Folge hatte. Auch dieser Process verlief schmerzlos.

Die Untersuchung des Nervensystems ergab folgenden Befund:

Im Gebiete der Hirnnerven ist ausser einer leichten Differenz der Pupillen die linke ist etwas weiter als die rechte keine Störung nachweisbar. Die Lidspalten sind nicht auffallend eng; die Sensibilität im Gebiete der N. V ist intact.

1 Demonstration in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten am 13. Januar 1896.

Bei der Betrachtung der Schultern und des Rückens macht sich folgendes bemerkbar: Es besteht eine Scoliose der Brustwirbelsäule, deren Convexität nach rechts gerichtet ist. Das linke Schulterblatt ist etwas herabgesunken und nach aussen gerückt; die Entfernung seines medialen Randes von den Proc. spin. der Wirbelsäule ist links grösser als rechts (links 5, rechts nur 4 Querfingerbreit). Die unteren Winkel beider Scapulae stehen deutlich von den Rippen ab; beim Versuch der Adduction der Schulterblätter tritt dies noch deutlicher hervor. Der linke innere Schulterblattrand zeigt einen schrägen Verlauf von innen oben nach aussen unten. Die Fossae supra- und infraspinatae erscheinen beiderseits etwas eingesunken, was auf eine mässige Atrophie der Mm. supra- und infraspinati hindeutet. Die untere Portion des linken Musc. cucullaris ist nicht palpabel. Beide Schulterwölbungen, besonders die linke, erscheinen abgeflacht. Die Hebung der Schultern geschieht in normaler Weise, dagegen ist die Beweglichkeit der Arme im Schultergelenk erheblich gestört. Die Hebung des linken Armes geht nicht einen Winkel über 30°, diejenige des rechten nicht über einen Winkel von 40° hinaus; dabei vollzieht sich die Hebung hauptsächlich durch Drehung der Scapulae, während die Arme im Schultergelenk unter sehr spitzem Winkel fixirt gehalten werden.

Die Musculatur der Arme fühlt sich welk und schlaff an, Eine etwa hühnereigrosse Geschwulst von derber Consistenz befindet sich über dem rechten Musc. biceps. Da sich dieselbe bei der Beugung des betreffenden Vorderarmes und bei Anwendung elektrischer Reize contrahirt, wird sie als Muskelhernie angesprochen. Die beiden Daumenballen erscheinen in geringem Grade abgeflacht. Die elektrische Untersuchung zeigte für die mittlere Portion des linken Musc. cucullaris eine Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit. Die untere Portion dieses Muskels ist weder faradisch noch galvanisch erregbar. Der Musc. infraspinatus ist links faradisch nur von starken Strömen, rechts überhaupt nicht erregbar. Ferner ist noch eine Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit des linken M. deltoid. zu bemerken. Sonst zeigt das elektrische Verhalten der Musculatur der oberen Extremitäten keine deutlich erkennbare Abweichung von der Norm. Sehr stark treten die Veränderungen an den Gelenken der oberen Extremitäten hervor. Bei passiven Bewegungen sind in beiden Schultergelenken starke Crepitationen fühlbar; zuweilen hört man ein Knirschen und Krachen in ibnen. Deutliches Crepitiren fühlt man auch in dem stark aufgetriebenen linken Handgelenk, dessen Kapsel gleichmässig verdickt ist. An der ulnaren Seite desselben ist eine kleine fluctuirende Stelle bemerkbar.

Bei der Betrachtung der Haut der oberen Extremitäten fällt an der Beugeseite des linken Oberarmes etwa 5 cm oberhalb des Ellenbogengelenks eine sichelförmige Falte auf; zwischen ihr und dem Gelenk ist die Haut mit der Fascie und dem oberen Theil des von der Bicepssehne ausstrahlenden Lacert. fibros fest verwachsen. An der dorsalen Fläche der linken Hand und der Finger ist die Haut vollkommen unbehaart, glänzend und sehr dünn. An der Volarfläche finden sich Schwielen, besonders in den Winkeln der Interphalangealgelenke und auf ihnen tiefe Risse und Schrunden.

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