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Aerztlicher Verein in Hamburg.

Sitzung vom 14. Januar 1896.

Herr Sänger demonstrirt: a) einen Patienten mit Tumor basis cerebri. Der 48jährige, nicht belastete Arbeiter erkrankte vor 1 Jahr mit einer completen linksseitigen Abducenslähmung. Hierauf neuralgische Beschwerden im 1. und 2. Aste des Trigeminus; schliesslich auch im 3. Aste; zugleich entwickelte sich allmählich eine complete Anästhesie des ganzen Quintus. Jetzt besteht eine typische Anästhesia dolorosa. Weiterhin kam es zu einer peripheren Facialislähmung links und gleichzeitigen linksseitigen Acusticusaffection. Die vorhandene Keratitis fasst S. nicht als neuroparalytische auf, sondern bedingt durch den Lagophthalmus, die mangelnde Thränensecretion und die Anästhesie der Cornea, da die Keratitis sich rasch völlig besserte, als Patient auf der stationären Augenklinik mit einem sorgfältig angelegten Schutzverband versehen worden war. Es handelte sich hier um eine Fremdkörper- und Vertrocknungskeratitis. Bei den Krause'schen Fällen nach Exstirpation des Ganglion Gasseri hat S. auch niemals eine echte Keratitis neuroparalytica beobachtet, trotz Anästhesie der Cornea.1 Lues und Tuberculose waren in diesem Falle auszuschliessen. Das trotzdem eingeleitete Traitement mixte hat gar keinen Erfolg.

b) einen Fall von Tabes dorsalis bei einer 38jährigen Virgo intacta, bei der auch die sorgfältigste Untersuchung von competenter Seite (Dr. Engel-Reimers) keine Spuren weder von florider, noch überstandener Lues nachweisen liess.

Seit 2 Jahren unsicherer Gang. Seit 1 Jahre lancinirende Schmerzen in den Beinen. Pupillendifferenz. Linke Pupille lichtstarr; rechte Pupille reagirt äusserst träge. Patellarreflexe fehlen. Romberg'sches Phänomen. Ataxie der Beine. Anästhesien um die Brust und Analgesien an den Beinen.

Patientin ist hereditär neuropathisch belastet; ist einmal heftig auf den Hinterkopf gefallen und hatte sehr viele und heftige Gemütsbewegungen.

Es handelt sich somit um eine Tabes bei einer Jungfrau: ein Factum, das Mobius bisher nicht beobachtet hat, und dessen Vorkommen er bestreitet.

S. polemisirt gegen die Theorie, dass jede Tabes Lues in der Vorgeschichte habe und somit in Zusammenhang mit Syphilis gebracht werden müsse. S. pflichtet Erb bei, dass man in etwa 10% der Fälle den Zusammenhang nicht erweisen könne und führt an, dass er vor einigen Jahren auf der syphilitischen Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses eine ganze Reihe von alten Puellis publicis mit völlig negativem Erfolge auf tabische Symptome untersucht habe. Es sei doch sehr auffallend, dass man bei Puellis publicis, die doch meist syphilitisch gewesen seien, so sehr selten Tabes finde.

S. warnt daher, bei jedem Tabiker ohne Weiteres mit einer energischen Schmiercur vorzugehen; zumal eine etwa vorhandene genuine Sehnervenatrophie rasch zur Verschlimmerung gebracht werden könne.

Discussion: Herr Rumpf geht auf die Entwickelung der Tabes-Syphilisfrage ein und betont, dass Beziehungen zwischen Tabes und Syphilis vorhanden sein müssen, da bei keiner anderen Erkrankung die specifisch syphilitischen und die Dementia paralytica ausgenommen so häufig Syphilis in der Vorgeschichte gefunden werde, wie bei der Tabes. Er selbst könne das in über 80% seiner Fälle nachweisen; allerdings gebe es Fälle, in denen die sorgfältigste Untersuchung keine acquirirte oder hereditare Lues nachweisen lasse. Die pathologisch-anatomischen Processe und ein Misserfolg specifiischer Therapie lassen sich einstweilen nicht in's Feld führen. Die pathologische Anatomie des klinischen Bildes sei noch lange nicht genügend klargestellt; man dürfe nicht vergessen, dass eine Meningitis posterior beispielsweise

1 Im weiteren Verlaufe kam es zu völliger Oculomotoriuslähmung mit Protrusion des Bulbus. Dabei keine Neuritis optica; keine Gesichtsfeldstörung.

ebenso gut die Symptome der Tabes zeigen könne. Bezüglich der Therapie erinnert Rumpf daran, dass in einzelnen Fällen die Hg-Behandlung doch Erfolge zu verzeichnen habe, allerdings empfehle es sich, mit dieser vorsichtig und individualisirend zu verfahren, da anderenfalls auch Schädigungen der Patienten eintreten können. Insbesondere stimmt Rumpf auch den Anschauungen von Sänger bei, dass eine Schnervenatrophie durch Hg-Anwendung sich rasch verschlechtern kann.

c) ein Sarcom des rechten Hinterhauptlappens, das in's Kleinhirn fortgewuchert ist.

50 jähriger Kaufmann erkrankte Pfingsten 1895 mit Schwindel. Fortwährend heftige Stirnkopfschmerzen. Selten Erbrechen. Gedächtniss schlechter. Haltung steif, stark vornüber gebückt. Gang unsicher, tappend. Geringfügige Ataxie des linken Fusses. Sensibilität intact. Die oft wiederholte ophthalmoskopische Untersuchung ergab beiderseits rothe, aber scharf begrenzte Papille. Linksseitig homonyme hemianopische Defecte von sehr wechselnder Ausdehnung.

Vor 10 Jahren hatte Patient ein Ulcus am Präputium. Später hatte er eine Inunctionscur durchgemacht und innerlich wegen angeblich luetischer Symptome Quecksilberpillen bekommen.

Dieser Umstand und das Fehlen der Stauungspapille machten es schwierig, eine basale gummöse Meningitis auszuschliessen.

Patient starb ganz plötzlich. Einige Tage ante exitum leichte Neuritis optica duplex. Die übrigen Hirnnerven normal.

Sitzung vom 10. März 1896.

Herr Rumpel stellt einen Fall von myxödemartiger Erkrankung bei Hodenatrophie vor.

36 jähriger, aus psychopathisch belasteter Familie stammender Kaufmann wat mit Ausnahme eines im 15. Lebensjahre überstandenen Typhus und eines im 24. Lebensjahr acquirirten Trippers, der ohne Complicationen völlig ausheilte, nie ernstlich krank. Patient war sowohl geistig rege und leistungsfähig, als auch körperlich über das Mittelmaass kräftig entwickelt. Auch die geschlechtlichen Functionen waren durchaus normale; besonders ausschweifende Excesse in Venere und in Baccho werden in Abrede gestellt.

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Im 30. Lebensjahre erkrankte er mit allmählich stärker werdenden nervösen Beschwerden, allgemeinem Mattigkeitsgefühl und zunehmendem Haarausfall in zeitlichem Zusammenhange nach einer wegen eines Hautausschlages (Krätze) durchgemachten Einreibungscur (1890). Consultation von Eichhorst in Zürich, der Blutarmuth und Nervosität diagnosticirte und eine längere Kaltwassercur vorschlug. Keine Besserung nach derselben. Kurz darauf bemerkte Pat. eine Zunahme der täglichen Urinmenge, die täglich etwa 5-6 Liter betragen haben soll. Dabei stärkeres Durstgefühl. Der Urin soll häufig auf Zucker mit negativem Erfolg untersucht sein. Inzwischen Zunahme der nervösen Beschwerden: häufig Kopfschmerzen, unbestimmte ziehende Schmerzen in den Gelenken, Unlust zum Arbeiten, Schlaflosigkeit und Abnahme des Gedächtnisses. Der Geschlechtstrieb, welcher seit Beginn der Erkrankung schwächer wurde, ist seit Jahren gänzlich erloschen; erst in der letzten Zeit bemerkte Pat. ein Dickerwerden der Hände und Füsse und eine auffällige Trockenheit der Haut derselben, verbunden mit einem eigenthümlichen Kältegefühl in den betreffenden Theilen. Auch sonst fröstelt Pat. leicht und bevorzugt warme Kleidung und stark geheizte Zimmer.

Status praesens: Sehr kräftig gebauter 36jähriger Mann. Grösse 1,75,5. Gewicht 90 Kilo. Temperatur 36,2. Puls 72. Respiration 18. Haut und Schleimhäute sehr blass; Gesicht etwas gedunsen; Gesichtsausdruck schlaff und stumpf. Haut und Unterhautzellgewebe des Gesichtes und Halses unverändert. Thyreoidea nicht palpapel, sicher nicht vergrössert. Haupthaar sehr spärlich; an der Oberlippe und am Kinn

einige weissliche Härchen (Pat. zeigt eine Photographie vor seiner Erkrankung, welche energische männliche Züge und einen stattlichen Vollbart aufweist). Augenbrauen gleichfalls spärlich; Achselhaare und Schamhaare fast vollständig fehlend. Die Hände und Füsse zeigen eine starke Volumzunahme, welche sich auch auf die Vorderarme und Unterschenkel fortsetzt. (Maasse: über dem Knöchel der rechten Hand 251/2, Mittelhand 25, Daumen 91/4 cm. Umfang am rechten Zehenballen 28, am rechten Fussrücken [Mitte] 29, über dem Knöchel 30 cm.) Die Vergrösserung ist durch eine Vermehrung des subcutanen Gewebes bedingt, welches sich teigig und etwas weicher als der gewöhnliche Paniculus anfühlt. Die Haut an den betreffenden Stellen ist sehr blass, auffallend zart, leicht rissig und trocken,,,alabasterartig". Fingereindrücke bleiben nicht bestehen. Auch die übrige Haut ist sehr trocken. Pat. giebt an, nie zu schwitzen. An den Nägeln nichts Besonderes. Das subcutane Gewebe der Bauchdecken, deren Haut gleichfalls die beschriebenen Eigenthümlichkeiten aufweist, stark vermehrt; besonders am Mons veneris ein grösseres, sich weich anfühlendes Fettpolster, eine dem weiblichen Habitus ähnliche Configuration bedingend. Penis völlig normal; Hodensack gut um die Hälfte verkleinert. Hoden und Nebenhoden hochgradig atrophisch, höchstens kirschgross, aber in ihrer Form nicht verändert; auf Druck geringe Empfindlichkeit. Leistencanal geschlossen. Prostata nicht vergrössert. Keine Drüsenschwellungen. Sensibilität der Haut, besonders auch an den befallenen Partien hinsichtlich Schmerz- und Tastempfindung und Temperatursinn völlig normal (Pat. ermüdet leicht). Hautreflexe nicht gesteigert. Sehnenreflexe desgleichen. Elektrisches Verhalten der auch sonst gut functionirenden Körpermusculatur völlig normal. Keine Störung des Muskelsinnes, kein Schwanken bei geschlossenen Augen; bei letzterem leichter Tremor der Lidmusculatur.

Die inneren Organe bis auf ein mässiges Lungenemphysem ohne Veränderung; Persistenz der Thymus nicht nachweisbar. Urinentleerung ohne Störung. Menge stark vermehrt, 6-7 Liter pro Tag, spec. Gew. 1007. Kein Eiweiss und Zucker, keine Formbestandtheile. Blutuntersuchung hinsichtlich Gestaltveränderung und Menge der Blutzellen ohne pathologischen Befund. Hämoglobingehalt 70% Augenhintergrund ohne Besonderes. Keine Gesichtsfeldeinengung. Untersuchung von Nase, Kehlkopf ohne Besonderes.

Die Veränderung der Haut und des subcutanen Gewebes erinnern entschieden an die typischen Erscheinungen des Myxödems, wenn auch die Localisation der befallenen Theile eine ungewöhnliche ist. Zu dem genannten Krankheitsbilde passen auch die nervösen Beschwerden des Patienten, die Gedächtnissschwäche und noch mancher andere Zug (leichtes Frösteln u. s. w.) der Krankengeschichte. Die hochgradige Atrophie der Hoden entschieden der wesentlichste pathologische Befund des beschriebenen Falles und die Polyurie gehören nicht zu den Symptomen des Myxödems. Beide Erscheinungen sind bei der Acromegalie mehrfach beobachtet worden; dass die letztere Erkrankung hier sicher nicht vorliegt, geht aus dem gänzlichen Fehlen der Knochenhyperplasie hervor; ausserdem sind es nicht die Phalangen und sonstigen äussersten Körpertheile, Nase, Ohren u. s. w., welche den hyperplastischen Process aufweisen.

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Der Pat. wurde während der 3 wöchentlichen ambulanten Beobachtungszeit mit Thyreoidintabletten (täglich 1-2 Stück) versuchsweise behandelt. Von einer ,,zauberhaften" Einwirkung des Präparates kann bis jetzt nicht die Rede sein. Pat. verlor an Gewicht 3 Kilo; aber eine Veränderung des localen Befundes oder der subjectiven Beschwerden war bis jetzt nicht zu constatiren. Bemerkenswerth war die Angabe des Pat., dass er einige Male Nachts geschwitzt habe, was während der letzten Jahre nicht vorgekommen sein soll.

Ueber den weiteren Verlauf des Falles wird später berichtet werden.
(Autorreferat.)

Wiener medicinischer Club.

Sitzung vom 13. November 1895.

Dr. Rud. Neurath: Zu den postinfectiösen Cerebrallähmungen im Kindesalter.

I. Ein 18 Monate altes Kind hat im letzten Frühjahre Masern überstanden, danach Keuchhusten acquirirt, an dem es noch leidet. Vor ca. 2 Monaten wurde es mitten in relativem Wohlbefinden von Convulsionen befallen, die anfangs beiderseitig, dann 18 Stunden lang die linke Seite in Anspruch nahmen. Seitdem zeigt das Kind typische spastische Hemiplegie der linken Seite mit Betheiligung des Facialis. Herzbefund normal.

II. Ein 21/2jähriges, hereditär belastetes Mädchen acquirirte vor 4 Monaten Keuchhusten, der in schwerer Intensität bis nun anhält. Vor 10 Wochen wurde das Kind von, zwei Tage und eine Nacht anhaltenden, Convulsionen befallen, die mit tiefer Bewusstlosigkeit einhergingen. Im Anschlusse daran lag das Kind 14 Tage lang mit gelähmten Gliedern, konnte nicht sprechen, liess den Kopf rückwärts sinken. Allmählich bildete sich der derzeitige Zustand aus. Das Kind zeigt jetzt rechtsseitige Facialisparese, motorische Schwäche der unteren Extremitäten, besonders der rechten, mit Steigerung der Patellarsehnenreflexe. Der Kopf wird aufrecht getragen, die Sprache kehrt allmählich wieder. Am Herzen nichts Abnormes.

III. Ein 6 Jahre alter Knabe wurde im Mai 1892 mit Keuchhusten angesteckt, der ein Jahr anhielt und nach und nach einem der Bronchectasie entsprechenden Husten mit maulvollem Auswurfe Platz machte. Aerztlicherseits wurden auch objectiv bronchectatische Cavernen nachgewiesen. Im März 1894 bemerkte die Mutter eine allmählich deutlicher werdende Lähmung der linken Körperhälfte. Das Kind zeigt seither eine linksseitige spastische Hemiparese mit Betheiligung des Facialis. Die gelähmten Extremitäten atrophischer als die rechtsseitigen. Am Herzen die Symptome einer Mitralinsufficienz.

Diese Fälle von in directem oder mittelbarem Gefolge von Pertussis aufgetretenen Lähmungen wären den nach acuten Exanthemen beobachteten Cerebralparesen gleichzusetzen. Was ihre anatomische Grundlage anlangt, kommen Embolie, Hämorrhagie, Encephalitis in Frage. Gegen Embolie spricht im ersten und zweiten Falle das Intactsein der Herzklappen, im dritten das allmähliche Auftreten der nervösen Erscheinungen. Herzthrombose als Quelle der Embolie, wie sie nach Diphtherie gefunden, kommt wohl hier nicht in Betracht.

Gegen Hämorrhagie spricht die Seltenheit von Gefäss wandalteration im Kindesalter. Berichte von intracerebralen Blutungen wären umsomehr einer sehr vorsichtigen Aufnahme zu empfehlen, als ja die Unterscheidung eines apoplectischen Herdes von einem hämorrhagisch-encephalitischen Bezirke mitunter Schwierigkeiten bieten kann.

Die Analogie der demonstrirten Fälle mit Hemiplegien nach anderen acuten Erkrankungen, nach Scharlach, Masern, Variola, endlich mit der acuten hämorrhagischen Encephalitis, wie sie nach Influenza beschrieben ist, legt die Annahme einer vielleicht durch Toxine bedingten Encephalitis als Ursache der postinfectiosen Cerebrallähmung nahe. Erhärtet hönnte diese Erklärung nur durch ganz frische Obductionen werden, die bisher leider allzu rar sind. Analog neueren Befunden nach Poliomyelitis (Redlich) hätten wir es bei solchen Fällen vielleicht mit einer von den Gefässen ausgehenden entzündlichen Erkrankung des Gesammtnervensystems zu thun, die hier das Gehirn, dort das Rückenmark in bevorzugtem Maasse befällt.

Sitzung vom 22. Januar 1896.

Hermann Schlesinger berichtet unter gleichzeitiger Demonstration eines anatomischen Präparates über einen Fall von Rückenmarkstumor (Autorreferat). Ein 42 jähriger Arbeiter suchte im December 1895 die Klinik Schrötter wegen Schwäche im rechten Arm und Schmerzen in demselben auf. Der Kranke

war vor 25 Jahren luetisch inficirt gewesen, hat an keinen Folgeerscheinungen der Lues gelitten und wurde im Laufe des verfl. Jahres zwei Mal von schweren Traumen betroffen, im unmittelbaren Anschlusse an letztere entwickelte sich das Leiden.

Die Untersuchung ergab eine hochgradige Muskelatrophie im Bereiche der gesammten Schultergürtelmusculatur rechts, des rechten M. biceps und deltoideus, sowie der gesammten Nackenmusculatur mit Ausnahme des Sternocleidomastoideus beiderseits. Am linken Schultergürtel war die Atrophie der Muskeln deutlich, aber geringer als rechts, am Vorderarm und an den Händen waren die Muskeln gut entwickelt, ebenso an den unteren Extremitäten. Die Rumpf-, besonders aber die obere Rückenmusculatur war schwach. Der Kopf wurde activ sehr wenig bewegt, war nach rechts und vorne gesunken, passive Beweglichkeit desselben war nach allen Richtungen möglich. Am Schultergelenk beiderseits complete Paraplegie. Beide Arme waren auffallender Weise in Streckstellung contracturirt, die Fingerbewegung war frei. Der Kranke konnte Arbeiten nur dann verrichten, wenn er sich mit beiden Ellenbogen auf eine feste Unterlage aufstützte; so musste er beim Essen den Kopf unmittelbar an den Teller bringen und sich zu diesem Behufe in der Regel niederknien. Die Sehnenreflexe sowohl an den oberen wie an den unteren Extremitäten sehr bedeutend gesteigert, spastisch paretischer Gang. Am ganzen Körper war die tactile Sensibilität ungestört; die Schmerzempfindung im Bereiche des Schultergürtels eher gesteigert, dagegen der Temperatursinn daselbst auf der rechten Seite und am rechten Arm grob gestört. Geringe Störungen des Muskelsinnes; an den Händen, besonders rechts, trat öfters spontane Blasenbildung auf. Keine Blasen-Mastdarmstörung, Hirnnerven frei.

Rasch schritt die Atrophie im Bereiche des linken Schultergürtels fort, es traten reissende Schmerzen im rechten Arm, im Hinterhaupte rechts und Zunahme der Parese an den Beinen auf. Die elektrische Erregbarkeit sowohl für den faradischen wie für galvanischen Strom sehr erheblich herabgesetzt, in einzelnen Muskeln Entartungsreaction. Es stellten sich Salivation und tonische schmerzhafte Krämpfe der gesammten Körpermuskeln mit Opisthotonus und Trismus, aber ohne Bewusstseinsverlust, ein. Zuletzt trat Zwerchfellslähmung auf der rechten Seite auf.

Die Diagnose wurde wegen der raschen Progredienz der Erscheinungen, der Krampfsymptome, der Atrophie en masse, der sensiblen Reizerscheinungen auf einen Tumor des Rückenmarkes gestellt. Als Sitz der Affection war die Gegend vom ersten Cervicalis bis zur Halsanschwellung supponirt, als anatomisches Grundleiden als das Wahrscheinlichste Gliom oder Gliosarcom angenommen worden. Auffallend war nur das vollständige Fehlen von Blasen- und Mastdarmstörungen bis zum Tode. Die Obduction verificirte die klinische Diagnose sowohl in Bezug auf die Ausdehnung, als auch auf das Grundleiden des Processes.

Vortragender machte darauf aufmerksam, dass in diesem wie in drei anderen von ihm beobachteten Fällen von intramedullären Rückenmarkstumoren (zwei Solitärtuberkeln und ein Gliom) in ganz analoger Weise ein gewisser Contrast zwischen dem Verhalten der Schmerz- und Temperaturempfindung vorhanden war, während sonst bei anderen Erkrankungen zumeist diese beiden Empfindungsqualitäten in gleicher Weise gestört sind. Es war nämlich bei gestörter Temperaturempfindung (Thermoanästhesie) der Schmerzsinn ungestört oder es bestand Hyperalgesie. Diese auffallende Sensibilitätsstörung wurde durch Wochen, ja durch Monate beobachtet. In den vom Vortragenden beobachteten Fällen von extramedullären Tumoren (Sarcom der Dura mater, zwei Fälle von metastatischen Schilddrüsencarcinomen, ein Fall von metastatischen Mammacarcinom) bestand ein derartiges Verhalten nicht, wohl aber hatte er es mehrmals bei Spondylitis beobachtet.

Sch. weist weiter auch darauf hin, dass sich nach seinen Erfahrungen die grössten differentialdiagnostischen Schwierigkeiten zwischen der Spondylitis und zwar den atypischen Formen derselben und Rückenmarkstumoren ergeben dürften. In

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