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Der mitzutheilende Krankheitsfall bietet nach zwei Seiten ein Interesse dar; er vermehrt die Zahl der Tabesfälle, bei denen peripherische Nervenerkrankungen angetroffen werden und zweitens liefert er einen Beitrag zur Complication von Tabes mit Kehlkopferkrankung.

Der Pat. erkrankte schon im Jahre 1866, als er erst 13 Jahr alt war, mit Bewusstlosigkeit, Vergrösserung der Pupillen, Augenmuskellähmung und lancinirenden Schmerzen, 1884 zeigte er Ataxie der Beine, Westphal'sches Zeichen, Analgesie, Blasenlähmung, Ophthalmoplegie, Pupillenstarre und Sensibilitätsstörungen im Quintusgebiete; 1890, Larynx-, Pharynx- und Magenkrisen. Die laryngoscopische Untersuchung ergab, dass die Epiglottis gut aufgerichtet werden konnte; es fehlte jede Andeutung eines Katarrhs, das linke Stimmband stand in Cadaverstellung, das rechte Stimmband zeigte keine Bewegungsstörung, doch ist es möglich, dass diese am rechten Stimmband später gleichfalls eingetreten ist, mit Sicherheit konnte dies der Larynxkrisen wegen nicht festgestellt werden. Durch diese immer häufiger werdenden Krisen wurde Pat. immer elender und ging zu Grunde.

Ausser einer kleinen Cyste im Kleinhirn und geringfügigen Vedickung der Meningen an der Basis fand sich makroskopisch nichts; mikroskopisch wurde eine Degeneration der Goll'schen und Burdach'schen Stränge gefunden; der AccessoriusHypoglossus sensible Vaguskern, ebenso der Nucleus ambignus (motor. Vaguskern) waren vollkommen normal, ebenso die von diesen Kernen ausgehenden intra medullären Nervenfasern. Die Accessoriuswurzeln waren vollständig unversehrt, der linke N. Recurrens dagegen degenerirt und die beiderseitigen Vaguswurzeln nahezu atrophisch. In der Medulla oblongata wurde auch noch das solitäre Bündel theilweise und die aufsteigende Trigeminuswurzel degenerirt gefunden. Von Muskeln war der linke M. posticus vollständig bindegewebig, der rechte auch vollständig degenerirt; auch der linke Adductor zeigte sich beschädigt, der rechte Adductor war normal.

Es unterliege keinem Zweifel, dass die Degeneration der Wurzeln mit der Tabes zusammenhänge, da sie von den geringen makroskopisch gefundenen Veränderungen unabhängig sind. Wie ist nun der Zusammenhang zwischen der motorischen Lähmung und dem Grundprocess der Tabes aufzufassen? Es sind eine Reihe von Fällen bekannt, wo neben der Tabes peripherische Nerven erkrankt waren; die Häufung dieser Fälle hat eine Anzahl von Autoren veranlasst, anzunehmen, dass die Affection peripher beginne und centralwärts fortschreite; dass das Spinalganglion in vielen Fällen intact gefunden worden ist, spricht nicht dagegen, man nahm an, dass die Spinalganglien functionell beschädigt sind, aber keine anatomisch nachweisbaren Veränderungen zeigen. Bei Lähmung motorischer Bahnen ist der fortschreitende Process von der Peripherie nach dem Centrum nicht verständlich, man müsste denn die Hypothese erweitern in der Weise, dass die in den sensiblen Bahnen fortgeschrittene Erkrankung sich nach vorn fortsetze, die Kerne functionell schädige, aber nicht anatomisch verändere und diese Schädigung dann auf die motorischen Wurzeln übergehe. Diese Frage ist nach Grabower's Ansicht noch offen.

Ein ganz besonderes Interesse bietet der Fall im Bezug auf die motorische Function des Kehlkopfes. Gegenüber der früheren Ansicht, dass der Accessorius der motorische Kehlkopfsnerv sei, hat G. im Jahre 1891 dargethan, dass der Accessorius mit der Innervation des Kehlkopfes nichts zu thun habe und dass dies allein der Vagus besorge. Fast zu gleicher Zeit erschien eine Arbeit von Rossmann, der zu gleichen Resultaten kam. Diese Ansicht wird noch vielfach bestritten, indem einmal gesagt wird, dass sich Vagus und Accessorius nicht so von einander trennen liessen, weil sie beide eine gemeinsame Kernanhäufung in der Medulla oblongata hätten. Dass diese Ansicht nicht richtig ist, hat G. durch serienweise durch die ganze Medulla oblongata und oberstes Halsmark angelegte Schnitte bewiesen. Es stellte sich bei der Verfolgung der Kerne heraus, dass der Accessoriuskern in den Hypoglossuskern übergehe und dass zwischen dem verschwundenen Accessoriuskern

und dem beginnenden Vaguskern ein 9 mm langer Zwischenraum bestände, dass demnach ein Zusammenhang zwischen beiden Kernen absolut ausgeschlossen sei. Der zweite Einwurf wurde an der Hand einer Anzahl pathologischer Fälle gemacht; 8 von diesen Fällen müssen nach G.'s Ansicht ausgeschieden werden, da es sich bei ihnen nur um eine Schädigung peripherischer Nerven handelt und bei Schädigung eines Nerven auch ein zweiter anliegender leicht mit betroffen werden kann. Was die übrigen Fälle anbetrifft, bei denen eine centrale Erkrankung vorhanden ist, SO liege von keinem derselben ein Sectionsbefund vor, so dass garnicht abzusehen sei, wie weit der centrale Process vorgeschritten ist. Gegenüber all diesen Fällen von zweifelhafter Deutungsfähigkeit, bringt der von G. mitgetheilte Fall ein unzweideutiges Beispiel, dass der Accessorius an der Innervation des Kehlkopfes vollständig unbetheiligt ist.

Herr Oppenheim ergänzt die Ausführungen des Herrn Grabower in einigen Punkten. Er hat den Pat. von 1884-1886 und dann wieder von 1887-1890 in der Nervenklinik der Charité, darauf im Siechenhause beobachten können und denselben auch schon einmal wegen interessanter Erscheinungen in der Gesellschaft den Charitéärzte (Berl. klin. Wochenschr. 1889. Nr. 44) vorgestellt.

Was das Symptom der Stimmbandlähmung anbetrifft, so hat O. eine dieser Lähmung entsprechende Atrophie der sog. motorischen Vaguskerns bisher nur in Fällen von amyotrophischer Lateralsclerose constatiren können, ein Befund, der dann auch von Turner und Bullock erhoben wurde. In Fällen von Tabes jedoch, die durch das Symptom der Kehlkopflähmung ausgezeichnet waren, wurde diese Kerndegeneration vermisst, dagegen eine Atrophie der Nerven (Vagus, Laryngeus recurrens), der Wurzeln und mehrmals eine solche des Solitärbündels gefunden. Will man dieses auffällige Ergebniss im Einklang bringen mit der von Herrn Grabower festgestellten Thatsache, dass der Vagus der motorische Kehlkopfnerv ist, sowie mit den Resultaten der von ihm im Laboratorium von O. ausgeführten anatomischen Untersuchungen bezüglich des nucleären Ursprungs des Vagus und Accessorius, so kann man zu verschiedenen Hypothesen, die zum Theil schon von Herrn Grabower erwähnt sind, seine Zuflucht nehmen. Man kann zunächst annehmen, dass der Nucleus ambiguus - der sog. motorische Vaguskern functionell erkrankt ist, ohne dass diese Erkrankung in anatomisch nachweisbaren Veränderungen ihren Ausdruck findet. Diese functionelle Schädigung würde nach dieser Vorstellung ausreichend sein, die Wurzel- und Nervendegeneration und die entsprechenden Lähmungssymptome hervorzurufen. Man hätte dann also die Hypothese von der functionellen Erkrankung der Spinalganglien und der entsprechenden extracorticalen Hirnganglien bei Tabes auf die in Frage kommenden Nervenkerne zu übertragen. Gegen diese Annahme spricht schon der Umstand, dass man doch in anderen motorischen Nervenkernen, wie in denen der Augenmuskeln, gar nicht selten eine deutliche Entartung bei Tabes findet.

Eine zweite Hypothese würde von der Richtigkeit der Obersteiner-Redlich'schen Anschauung ausgehen, dass die Tabes einen meningealen Ursprung hat. Man würde dann annehmen müssen, dass sich diese Meningitis gelegentlich auch auf die basale Fläche der Medulla oblongata ausdehnt und hier die Veränderungen an den Wurzeln des Trigeminus, Vagus u. s. w. hervorruft (die Degeneration der spinalen Trigeminuswurzel und des Solitärbündels würde dann als eine secundare, absteigende Degeneration zu betrachten sein). Gegen diese Hypothese spricht der Umstand, dass von dieser Meningitis in der Regel nichts nachzuweisen ist. In dem heute besprochenen Falle war wohl eine leichte Verdickung der Meningen vorhanden, sie war aber viel zu geringfügig, um für die schweren Veränderungen im Nervensystem verantwortlich gemacht werden zu können. So bleibt denn weiter nichts übrig, als anzunehmen, dass das die Tabes dorsalis erzeugende Virus in der Sphäre des Vagus nicht auf die Kerne, sondern auf die Wurzeln und Nerven wirkt, ähnlich wie das Blei die anatomischen Veränderungen am N. radialis und nicht au einem

nucleären Ursprungsgebiet erzeugt. Indess muss O. bekennen, dass man hier noch vor einer schwierigen, bisher nicht genügend aufzuklärenden Frage steht.

Das eine ist aber durch diesen Fall bewiesen, dass der Kehlkopflähmung eine Erkrankung des N. vagus und seiner Wurzeln entspricht, während der N. accessorius nichts mit dieser Erscheinung zu thun hat. Beiläufig erwähnt O., dass er in einem anderen Falle von Tabes mit Vagussymptomen vor kurzem das Ganglion jugulare untersucht hat, ohne jedoch an diesem etwas Abnormes entdeckt zu haben.

Eine andere Erscheinung, die dem heute mitgetheilten Falle ein besonderes Interesse verleiht, sind die Pharynxkrisen und zwar handelt es sich um die von O. beschriebene echte Form, nicht um den Spasmus pharyngis, der von Jean, Liré und Courmont angeführt wird. Das erste Zeichen war die Empfindung des Globus, die den Patienten schr quälte, erst später folgten die eigentlichen krankhaften Schlingbewegungen, die auch durch einen zur Seite des Kehlkopfes ausgeübten Druck ausgelöst werden konnten. Der tabische Globus kommt nicht so selten vor bei den Tabikern, die an Störungen im Gebiet des Vagus leiden.

Besonders beachtenswerth waren ferner die Symptome von Seiten des N. trigeminus, derentwegen O. den Patienten 1889 in der Gesellschaft der Charitéärzte vorstellte. Es waren die bekannten Zeichen der Analgesie, des spontanen Zahnausfalles u.s. w. Der Entwickelungsgang dieser Störungen war folgender: zuerst stellten sich Paraesthesien und Schmerzen im Gebiet der V. ein, dann folgte die Gefühlstörung und erst nach Jahren kam es zum Zahnausfall. Bei der Demonstration des Patienten konnte darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihm ein neuer Zahn nachgewachsen war. Ferner wurde gezeigt, dass Patient keine Vorstellung von der Sperrweite seiner Kiefer hatte und an einer Art von sehr lästigem Trismus litt. Später kam dann noch eine Störung im Bereich der Zungen-, Kiefer-, Schlund- (und Kehlkopf?) Musculatur hinzu, die wohl als Ataxie gedeutet werden mussten, eine Ataxia glosso-laryngo-pharyngea. Die Zunge wurde nämlich beim Hervorstrecken, falls Pat. nicht diese Bewegung mit dem Spiegel controllirte, hin- und hergewälzt, zugespitzt, abgeflacht u. s. w., gleichzeitig kam es zu Schlingbewegungen und Stridorlauten. Umgekehrt führte auch der Schlingact zu derartigen Zungenbewegungen u. s. w. Den Erscheinungen im Quintusgebiet entsprach die doppelseitige; nach oben zunehmende Degeneration der spinalen Trigeminuswurzel, Für die geschilderten Coordinationsstörungen in der Zungen-, Schlundmusculatur lässt sich der Verdacht nicht ganz zurückweisen, dass die Kleinhirncyste hier eine Rolle gespielt hat; indess hält O. das für höchst unwahrscheinlich, da ein ähnlicher Symptomen complex bei Tabes schon einige Male, bei Kleinhirnaffectionen meines Wissens jedoch noch nicht beobachtet worden ist. Schliesslich führt O. noch an, dass zu den frühesten Symptomen hier die Ophthalmoplegie gehörte und dass als Grundlage derselben eine Degeneration der Augenmuskelkerne constatirt wurde.

Herr Remak: Wenn G. ihn unter die Autoren stelle, welche für die motorische Innervation des Kehlkopfes durch den Accessorius eingetreten sei, so könne er nur mittheilen, dass er vor zwei Jahren gelegentlich eines Falles von multipler Hirnnervenlähmung die Untersuchungen Grabower's ausdrücklich anerkannt habe.

Herr Bielschowski (aus der Poliklinik des Professor Mendel): Morvan'sche Krankheit (Krankenvorstellung).

Ueber

Der Vortrag wird in extenso in dieser Wochenschrift erscheinen. Herr Jolly erwähnt, dass in manchen solcher Fälle Leprabacillen gefunden wurden und fragt an, ob in dieser Hinsicht Untersuchungen angestellt sind. Herr Bielschowski verneint letzteres, es soll aber noch danach geforscht werden. Jacobsohn.

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten.
Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel,
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20.

Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig. Druck von METZGER & WITTIG in Leipzig.

NEUROLOGISCHES CENTRALBLATT.

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten.

Fünfzehnter

Herausgegeben von

Professor Dr. E. Mendel

zu Berlin.

Jahrgang.

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen duch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie direct von der Verlagsbuchhandlung.

1896.

15. Februar

Nr. 4.

Inhalt. I. Original mittheilungen. 1. Bemerkungen über den Aufbau der Schleife, von Dr. Hermann Schlesinger. 2. Ueber die hohe Rückenmarksdurchtrennung bei Hunden, von Prof. J. Gad und Dr. E. Flatau. 3. Ueber Verlauf und Endigungsweise der Fasern des „Ovalen Hinterstrangfeldes" im Lendenmarke, von Dr. A. Hoche. 4. Kritische Fragen der Nervenzellen-Anatomie, von Dr. Franz Nissi (Heidelberg). (Schluss.)

II. Referate. Anatomie. 1. Die subcutane Methylenblauinjection, ein Mittel zur Darstellung der Elemente des Centralnervensystems von Säugethieren, von Meyer. 2. Centrosom und Sphäre in den Spinalganglien des Frosches, von v. Lenhossék. Experimentelle Physiologie. 3. Experimentelle Untersuchungen über Phonationscentren im Gehirn, von Klemperer. Pathologische Anatomie. 4. Ueber Veränderungen des Kleinhirns, des Pons und des Medulla oblong. in Folge von congenitaler Hydrocephalie des Grosshirns, von Chiari. 5. Defective development of the central nervous system in a cat, by Russel. Pathologie des Nervensystems. 6. Ueber ,,senile Epilepsie" und das Griesingersche Symptom der Basilarthrombose, von Naunyn. 7. Epilessia tardiva negli alienati di mente, pel Christiani. 8. L'epilessia nei militari, des Roncoroni. 9. Epilepsia diabetica (acetonica), von Jacoby. 10. Die Gliose bei Epilepsie, von Bleuler. 11. Note sur un cas d'épilepsie, dont les accès débutent par des mouvements professionnels, par Féré. 12. Sui fenomeni circumcursivi e rotatorie dell' epilessia, del Mingazzini. 13. Epilessia motoria da fanciullo e giovine; epilessia psichica da adulto, del Nardelli. 14. A case of remarkable morbid sensory phenomena of an explosive on epileptiform character, the result of old injuries of the head, by Drapes. 15. Ueber traumatische Epilepsie und ihre Behandlung, von Jolly. 16. On the relation of sex to the prognosis of epilepsy, by Browning. 17. Note sur un logospasme épileptique, par Féré. 18. Epilepsie et volonté, par le Roskam. 19. Reflex epilepsy, by Krauss. 20. Un cas d'automatisme ambulatoire comitial, par le Cabadé. 21. Quelques observations du trouble de la marche. Dysbasies d'origine nerveuse, par Hallion et Charcot. 22. Sur un cas d'hystérie à forme particulière, par Lépine. 23. Neurasthénie circulaire à forme alternante quotidienne, par Oddo. 24. De l'hémichorée arythmique hystérique, par Auche et Carrière. 25. Ein Fall von Hysterie mit trophischen Störungen, Syringomyelie vortäuschend, von Wichmann. 26. Weitere Mittheilungen über die functionellen Gesichtsfeldanomalien, mit besonderer Berücksichtigung von Befunden an normalen Menschen, von König. 27. Note sur une épidémie de borborygmes, von Féré. 28. Die Begrenzung der functionellen Nervenkrankheiten, von Obersteiner. 29. Zur Casuistik der imitatorischen Nervenkrankheiten, von Löwenfeld. 30. Un cas de polyestésie et de macroesthésie, par Stcherbak et Ivanoff. 31. Du larmoiement hystérique, par Berger. 32. Ueber hysterische Schmerzen und deren Behandlung, von Windscheid. Psychiatrie. 33. Contribution à Pétude du rôle des idées fixes dans la pathogénie de la polyurie hystérique, par Souques. 34. Hysterie. Confusion mentale of amnésie continue. Anesthénie généralisée. Expérience de Strümpell, par Séglas et Bonnus. 35. Amnésie rétro-antérograde à type continu et progressiv par choc moral, par_Toulouse. 36. Un caso di amnesia parziale continua, del Ferrari. Therapie. 37. Zur Epilepsiebehandlung nach Flechsig, von Rabbas. 38. Further report of operation for epilepsy seven years after. Complete recovery, by Taylor.

III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neuropathologen und Irrrenärzte zu Moskau.

I. Originalmittheilungen.

1. Bemerkungen über den Aufbau der Schleife.
[Aus dem Laboratorium des Prof. OBERSTEINER in Wien.]

Von Privatdocent Dr. Hermann Schlesinger.

Assistent an der Klinik Prof. Schrötter.

(Vorläufige Mittheilung, erstattet am 14. Januar 1895 im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien.)

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Aufbau der Schleife nur unvollkommen bekannt ist, trotzdem in den letzten Jahren wichtige Beiträge zur Kenntniss derselben geliefert wurden. Verlauf und Aufbau der Schleife wurden bisher auf dem Wege des Experiments, der vergleichenden Anatomie, der Entwickelungsgeschichte und auf Grund pathologisch-anatomischer Befunde studirt. Im Nachfolgenden stütze ich mich vor Allem auf das Ergebniss der Untersuchung pathologisch-anatomischer Präparate, bei denen nach Läsion der Schleife Degeneration derselben eingetreten war, und zwar konnte ich die an 5 Fällen mit aufsteigender Erkrankung der Schleife erhobenen Resultate mit denen eines Falles von absteigender Degeneration derselben vergleichen. Sämmtliche Fälle von aufsteigender Schleifenläsion waren durch Spaltbildung in der Medulla oblongata hervorgerufen1, welche in 4 Fällen halbseitige Degenerationen nach sich gezogen hatte. Da in diesen Fällen die aus dem Bulbus medullae entstammenden Fasern zum grossen Theile entfielen, so war es vor Allem möglich, die im Pons zum medialen Lemniscus hinzutretenden Faserzüge näher zu studiren. Die Verfolgung von Serienschnitten ergab folgende Resultate:

1. In den obersten Abschnitten der Medulla oblongata tauchen medial von der Schleife vereinzelte Bündel von Nervenfasern auf, welche, cerebralwärts rasch zunehmend, sich dem Lemniscus nähern und im unteren Drittel des Pons in das mittlere Drittel der querliegenden Schleife eintreten. Diese Nervenmassen, welche ich als „laterale pontine Bündel der Schleife" bezeichnen will, nehmen den ventralen Abschnitt des medialen Lemniscus ein und rücken in und mit demselben in den höheren Ebenen stets weiter lateralwärts. Im späteren Verlaufe verlässt dieser mächtige Faserzug wieder die Schleifenbahn. Er legt sich in den am meisten cerebral liegenden Abschnitten des Pons an die Pyramidenbahnen an, wobei die Fasern auch ihre Verlaufsrichtung ändern und geht schliesslich gänzlich in die äusseren Abschnitte des Hirnschenkelfusses ein.

2. Etwas höher als die „lateralen pontinen Bündel" taucht im Schleifengebiete dicht neben der Raphe ein Faserzug (vielleicht das Bündel von der Schleife zum Fusse) auf. Derselbe war auf der Seite der Degeneration, also auf der der Bulbärläsion entgegengesetzten Seite sehr gut entwickelt. Hingegen fehlten die caudal gelegenen Abschnitte desselben auf der Seite der sonst wohl

1 Eine der typischen Läsionen bei bulbärer Syringomyelie.

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