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Liegen auch meiner Meinung nach gar keine Gründe für die vollständige Unbeweglichkeit oder das Fixirtsein der Zellenfortsätze vor, so sind zur Unterstützung dieser Voraussetzung aber doch Beweise noch beizubringen. Sollte sich die Voraussetzung von den amöboiden Bewegungen der Zellfortsätze jedoch factisch bestätigen, so wäre uns die Möglichkeit geboten, den Einfluss der Gewöhnung und der Uebung auf die Functionen des Nervensystems, die Wirkung der erregenden und herabstimmenden Mittel auf das Nervensystem und noch viele andere Thatsachen aus dem Gebiete der Physiologie und Pathologie des Nervensystems auf die einfachste Weise zu erklären. Jedenfalls betrachten wir die Hypothese von der Bewegungsfähigkeit der Zellfortsätze, welche sehr gut mit der oben ausgesprochenen Ansicht von den Entladungen der Nervenenergie in den einzelnen Neuronen, als der Bedingung zur Leitung in denselben, übereinstimmt, als einen gelungenen Erklärungsversuch der complicirten Erscheinungen in der Nerventhätigkeit.1 Uebrigens hat der Einfluss der Gewöhnung schon eine genügende Erklärung in dem Hinweis von RAMON Y CAJAL gefunden, nach welchem die Bildung neuer Verbindungen durch eine nicht zeitweilige, sondern dauernde Verlängerung der Fortsätze sogar in dem Gehirn von Erwachsenen möglich sein soll.

Auf Grund des bisher Gesagten stellen wir uns den Verbreitungsprocess der Nervenerregung folgendermaassen vor: der in der Zelle entstandene Nervenimpuls verbreitet sich durch den Nervenfortsatz und erreicht dessen Endverzweigungen, welche mit den Fortsätzen oder dem Körper einer anderen Zelle entweder in Berührung oder in nächster Nachbarschaft sich befinden, lässt in den letzteren einen neuen Impuls entstehen, welcher sich längs dem Nervenfortsatz, ähnlich dem ersten in der Anfangszelle entstandenen, weiter fortsetzt. Da jede, sowohl centripetale, wie auch centrifugale Leitungsbahn wenigstens aus zwei, öfter aber aus mehreren Nervengliedern besteht, so ist es klar, dass die Leitung von der Peripherie bis zur Hirnrinde und umgekehrt, aus einer laufenden Reihe von in den nach einander gelegenen, zu dem Bestand des gegebenen leitenden Systems gehörenden Nervengliedern oder Neuronen, entstehenden Erregungen besteht. Auf dieser Bahn kann die Erregung sich auch seitlich längs den Seitenzweigen der Nervenfaser verbreiten und somit sich auf andere Gebiete des Nervensystems zerstreuen und dieselben in Miterregung versetzen.2

1 Vergl. auch KÕLLIKER, Kritik der Hypothesen von RABL-RÜCKHARDT und DUVAL über amōboide Bewegungen der Neurodendren: Sep.-Abd. aus d. Sitzbr. d. Würzburger physic.-med. Gesellschaft. 1895.

* Bei dieser Gelegenheit finde ich es für nöthig zu bemerken, dass die Frage über die Verbreitung der Erregung im Nervensystem den Gegenstand einer 1894 von Herrn N. MisLAWSKI in der Jahressitzung der Gesellschaft der Neuropathologen und Psychiater zu Kasan gehaltenen Rede gebildet hat, dieselbe aber bis dato weder ganz noch im Auszuge gedruckt ist, weshalb ich leider von ihrem Inhalt keine Kenntniss habe, also auch nicht anzugeben vermag, wieweit die hier dargestellten Ansichten denjenigen, welche N. MISLAWSKI in seiner Rede vertritt, entsprechen. Jedoch zur Zeit meiner Professur in Kasan gewann ich durch persönliche Unterhaltungen mit Herrn N. MISLAWSKI die Ueberzeugung, dass er in der Frage über die Verbreitung der Erregung im Nervensystem für die Entladungstheorie ist. Selbst

Im Zusammenhang mit der Frage über die Verbeitung der Nervenerregung verdient ein, durch die nach der GOLGI'schen Methode ausgeführten Untersuchungen klar gewordener Umstand unsere Beachtung - ich meine nämlich die Anwesenheit der absteigenden Systeme in den sensiblen Nerven. Wir wissen, dass solche absteigende Systeme in den spinalen, sensiblen Nerven vorhanden, und dortselbst, wie ich mich vergewissert habe, unschwer nach der Degenerationsmethode nachweisbar sind, ebenso finden sie sich im Hör-, Sehund Riechnerven. Es ist evident, dass es sich in diesem Falle um eine für alle sensiblen Nerven allgemein giltige Thatsache handelt, weshalb die Frage über die Bedeutung dieser absteigenden Systeme ganz an der Stelle ist. Es besteht kaum ein Grund zum Zweifel, dass diese absteigenden Systeme centrifugale Impulse leiten. Es frägt sich nur, welche Bedeutung den centrifugalen Impulsen in den sensiblen Organen zukäme? Mir scheint, dass die in Rede stehenden Systeme eine bestimmte Rolle bei der Objectivirung der erhaltenen Empfindung, d. h. bei der Projicirung derselben nach aussen spielen. In der That wäre das Gesetz der Projicirung unserer Empfindungen schwer verständlich, wenn in unseren sensiblen Leitern und in den denselben entsprechenden Sinnesorganen keine Bedingungen für eine entgegengesetzte Bewegung des Nervenstromes, zur Peripherie hin, beständen. Somit erhält der Projicirungsprocess unserer Empfindungen nach aussen in den centrifugalen Systemen der sensiblen Nerven eine entsprechende bisher mangelnde anatomische Grundlage. Eine eingehendere Erörterung dieser Frage würde uns zu weit führen, weshalb wir uns auf die gemachten Bemerkungen beschränken wollen, da wir diese Frage in einer andern Arbeit eingehender zu berühren gedenken.

Die Erforschung des Nervengewebes nach der GOLGI'schen Methode führt uns ferner zum Schluss, dass die Nervenelemente in ihren wesentlichen Eigenthümlichkeiten überall gleich sind. Trotz der Mannigfaltigkeit der Functionen der verschiedenen Hirnrindentheile finden wir im Allgemeinen bei denselben keine solchen Unterschiede, welche uns diese Mannigfaltigkeit erklären

Der einzige, wesentliche Unterschied unter den leitenden Systemen besteht in der Richtung des Cylinderfortsatzes, welche bezüglich der Hirnrinde eine absteigende oder aufsteigende sein kann, in Folge dessen wir die Systeme in absteigende und aufsteigende theilen. Ausser diesem, den Weg der Nervenerregung bestimmenden Unterschied, finden wir bei den Elementen des Nervensystems nichts, wodurch wir uns den qualitativen Unterschied der psychischen und nervösen Erscheinungen erklären könnten. Die Zellen des Rückenmarks, der Gehirnganglien, des Kleinhirns und der Hirnrinde sind mit wesentlich gleichen cylindrischen Fortsätzen versehen, besitzen auch eine grössere oder geringere Menge sich verzweigender Dendriten u. s. w., kurzum, sowohl hier

verständlich ist das hier nicht deshalb angeführt, um von mir die Verantwortlichkeit für meine Behauptungen über diesen Gegenstand abzuwälzen, sondern einzig zu dem Zweck, damit man sieht, dass ich nicht allein die Ansicht über die Entladungen im Nervensystem theile.

wie dort stossen wir auf wesentlich gleiche Nervenelemente oder Neurone, welche auf dieselbe Art sowohl zum Empfang wie auch zur Leitung der Erregungen ausgerüstet sind. Es fragt sich, wodurch sollen wir aber den qualitativen Unterschied der von uns zu empfangenden Empfindungen bei gleichem Bau der Nervenelemente erklären?

Augenscheinlich liegt der Kern der Erscheinung in den peripheren, zur Perception der äusseren Reize bestimmten Apparate. Wir wissen, dass die sensiblen Nervenfasern nicht direct durch die äusseren Einwirkungen sondern unter Vermittelung ganz speciell modificirter Epithelien erregt werden. Diese epithelialen Apparate erscheinen somit einerseits als Schutzapparate für die peripheren Nervenendigungen, andererseits als Vermittler bei der Uebergabe der äusseren Reizungen, den peripheren Nervenfasern oder den Zellen. Ihre Rolle muss sich jedoch nicht allein auf eine einfache Uebermittelung der Reizungen oder den Schutz der Nervenendigungen beschränken, wie das schon aus der Complicirtheit des Baues und der Mannigfaltigkeit der in Rede stehenden Apparate klar hervorgeht. Es ist evident, dass diese Apparate ausser der einfachen Uebermittelung der Reizung auf die Nervenelemente und dem Schutze der letzteren noch eine bestimmte Rolle bei der qualitativen Unterscheidung der von uns zu empfangenden, manigfaltigen äusseren Reizungen spielen müssen. In der That ist zur Perception der äusseren Reizung von den peripheren Nervenendigungen, mit anderen Worten, damit der äussere, rein physische Process als Anstoss für die Entwickelung des physiologischen, sich durch ihre Erregung äussernden Processe in den Nervenendigungen, dienen kann, nothwendig, dass der äussere Reiz eine solche Form annehme, welche fähig ist, die Nervenfaser zu erregen. Thatsächlich sind die freien Endigungen der Nervenfasern durch Schallwellen nicht zu erregen, sobald aber die Schallwellen vermittels der Endolymphe die Fäden der Haarzellen in schwingende Bewegung versetzen, so werden auf diese Weise letztere vor Allem mechanisch erschüttert und diese mechanische Erschütterung ist schon im Stande die Hörnervenfaser zu erregen. Ebenso sind die Lichtschwingungen des Aethers für sich nicht im Stande, eine Nervenfaser zu erregen, aber indem sie auf die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut wirken und einen chemischen Einfluss in der letzteren ausüben, kann das Licht schon den physiologischen Process der Erregung in den unterhalb gelegenen Nervenendigungen hervorrufen. Hieraus ist es klar, dass die peripheren epithelialen Apparate in gewissem Sinne als Umbildner des äusseren Reizes in eine zur Erregung der Nervenfaser vollkommen taugliche Form thätig sind.

Eine weitere Analyse führt uns zum Schluss, dass selbst die Reizung der Nervenendigungen in den verschiedenen Sinnesorganen ungleich und abhängig vom Bau des epithelialen Apparates und der Vertheilung der Nervenendigungen in demselben ist. Wenn wir z. B. im Hör- und Tastorgane uns die Reizung als eine mechanische denken, so erscheint sie im Geschmacks- und Riechorgan schon als eine chemische oder vielleicht genauer als eine chemisch-mechanische. Man könnte zwar auch hier die

Wirkung des chemischen Agenten auf die epithelialen Apparate als eine zur Schrumpfung oder Quellung der Zellen führende, also eine mechanische Reizung der Nervenendigungen bewirkende vorstellen; es liegen jedoch gar keine Gründe vor, welche uns zwängen den ganzen Process der Perception der Schmeck- und Riechreize auf nur mechanische Reizung der Nervenendigungen zurückzuführen. Wir sehen also, dass die verschiedenen Sinnesorgane Apparate besitzen, mittelst welcher die Nervenfasern in einigen von ihnen mechanisch, in den anderen vorzüglich chemisch erregt werden. Hiermit wäre das Thema aber noch lange nicht erschöpft. Es handelt sich nämlich darum, dass abhängig von der Einrichtung der peripheren Apparate der Charakter der mechanischen oder chemischen Reizung selbst der Nervenendigungen sehr bedeutend wechselt. Stellen wir uns im Hörorgane die mechanische Reizung in der Form von Erschütterungen der Haarzellfäden vor, so treffen wir an der Hautoberfläche augenscheinlich eine andere Form von mechanischer Reizung an, welche aus einem auf die Tastkörperchen sich fortpflanzenden Druck auf die Hautoberfläche, aus der Verschiebung der Haarzwiebeln und aus der hierdurch bedingten mechanischen Reizung der in ihrer Umgebung angeordneten Nervenverzweigungen, bei Stichen aber aus dem Druck und der Zerreissung der feinen Nervenendigungen, bei der Einwirkung der Wärme jedoch aus einem gleichmässigen Druck auf die Nervenendigungen durch Epithelschwellung u. s. w. besteht. Ebenso kann auch in den für chemische Reizungen der Nervenendigungen empfänglichen Organen letztere äusserst schroffe Wechsel aufweisen. Nehmen wir z. B. das Geschmacksorgan, so ist es für Jedermann klar, dass eine Säure und ein Salz nicht gleich auf das Epithel der Schmeckbecher einwirken, folglich die Reizung der in ihnen befindlichen Nervenendigungen nicht ganz übereinstimmt. Somit sehen wir also, dass die peripheren Sinnesorgane mit ihren besonderen epithelialen Apparaten und mit der für jedes Organ eigenthümlichen Vertheilung der Nervenendigungen Bedingungen schaffen, wodurch die Reizung der Nervenendigungen selber bei den verschiedenen äusseren Einwirkungen verschieden artig erscheint.

Es fragt sich, ob es zulässig sei, dass der Charakter der Nervenerregung abhängig von der Verschiedenheit der Reizung selber wechselt. Augenscheinlich ja, widrigenfalls könnten wir uns nicht die qualitativen Unterschiede unserer Empfindungen erklären. Natürlich wissen wir nicht, auf welche Weise der physiologische, unter dem Einfluss der äusseren Einwirkung auf die Peripherie entstehende Process in den Centren einen psychischen erzeugt, können aber keinen Zweifel hegen, dass die Ursprungsquelle des psychischen Processes oder, genauer gesagt, der ursprüngliche Anstoss zur Entwickelung des letzteren in der Perception der äusseren Reizungen durch das eine oder das andere Sinnesorgan und in der Entwickelung des in der Form eines Nervenstromes zu den Centren sich verbreitenden Erregungsprocesses in denselben liegt. Hieraus folgt mit Nothwendigkeit, dass die wesentlichen Unterschiede in der Qualität der von uns percipirten Empfindungen, also die Tast-,

Gehör-, Gesichts-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen u. s. w., in einer directen Beziehung mit zu dem verschiedenen Charakter der an der Peripherie entstehenden Bewegungen stehen und in einer Abhängigkeit von den verschiedenen Eigenthümlichkeiten der den Centren zuströmenden Nervenerregung sich befinden.

Es liegt wohl eine Thatsache vor, welche man in dem Sinne auslegen könnte, dass der Unterschied in dem Charakter unserer Empfindungen von den Centren abhängt und nicht mit dem verschiedenen Charakter der Erregungen an der Peripherie in einer Wechselbeziehung steht. Diese Thatsache besteht darin, dass die Nerven unserer speciellen Sinnesorgane, unabhängig von dem in ihrem Verlauf auf sie ein wirkenden Charakter der Reizung, in den Centren stets nur das Gefühl derselben Qualität, wie bei der Erregung ihrer peripheren Endigungen in den Sinnesorganen, hervorrufen. Auf solche Weise ruft z. B. die mechanische oder elektrische Reizung des Sehnerven Lichtempfindung und die mechanische oder elektrische Reizung des Hörnerven Gehörempfindung hervor. Diese Thatsache kann jedoch viel einfacher schon durch die gewohnte Geneigtheit der aus den speciellen Sinnesorganen tretenden Nerven nur auf eine bestimmte Weise auf die äusseren Reizungen zu reagiren, oder anders ausgedrückt, einen Nervenstrom nur von dem Charakter durchzulassen, welcher gewöhnlich von dem Nerven bei seiner Erregung in der Peripherie fortgeleitet wird, erklärt werden.

In Anbetracht dessen bestehen wir fest auf dem Standpunkte, dass der qualitative Unterschied unserer Empfindungen durchaus nicht durch die unwesentlichen Verschiedenheiten im Bau unserer Centren zu erklären sind, sondern in directer Beziehung zu dem Unterschied im Charakter der Nerven erregungen an der Peripherie und mit den Eigenthümlichkeiten des durch denselben bedingten Nervenstromes, sich befindet.

Was die centrifugalen Leiter anbetrifft, so mögen hier vielleicht keine Eigenthümlichkeiten in dem Charakter der durch sie gehenden Erregung vorkommen, da diesselbe ja stets aus einer und derselben Quelle, d. h. aus unseren Centren, ausgeht. Nichtsdestoweniger kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass der Charakter des durch diesen Impuls an der Peripherie erregten Processes bedingungslos und stets von der Wechselbeziehung, in welche die peripheren Endigungen der centrifugalen Leiter mit den Gewebselementen (Muskelfasern, Drüsenzellen u. s. w.) eingehen, und den Eigenthümlichkeiten der letzteren abhängig ist. Auf solche Weise haben wir auch hier eine Abhängigkeit des äusseren, durch die Thätigkeit der Centren bedingten Effectes von den Wechselbeziehungen, welche die Nervenfaser an der Peripherie eingeht.

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